Die Bachelor-Arbeiten 2024 der Theaterakademie, die im Thalia in der Gaußstraße gezeigt wurden, boten insgesamt interessante Arbeiten.
Petuschki, da wartet das Licht, das hofft jedenfalls Wenja. Dort werde sie endlich von ihrem unerträglichen Leben, dass sie nur mit Alkohol aushalten kann, erlöst werden. Doch man ahnt es schon, dass wird kein Gutes Ende nehmen. Speziell, wenn sie von Anfang an Engel begleiten, die anscheinend über mehr Informationen verfügen als Wenja lieb ist.
Die Inszenierung von Musa Kohlschmidt der "Reise nach Petuschki" kann sich ganz auf seine Hauptdarstellerin verlassen. Luise von Stein ist die Obdachlose, die sich an ihren Koffer klammert, als wenn er sie vor dem Ertrinken retten könnte, Doch eigentlich ist es umgekehrt, er ist nur voller Flaschen und zieht sie immer weiter runter. Da können ihre goldenen Engelsbegleiter ihr auch nicht mehr helfen. Sie flieht vor dem äußeren Umständen und begegnet dafür ihrem Inneren, in dem sie auch keinen Trost finden kann. Dennoch gibt ihr Luise von Stein eine Würde und Aufrichtigkeit, die wahrhaft zu berühren vermag. Das Bühnenbild wechselt von einer gekachelten Bahnhofshalle zu einem Comicstrip und zu einer Rouletteinsel, auf der Wenja in Schwindel gerät. Doch zum Schluss hat einer der Engel eine Botschaft parat, obwohl Wenja da schon am Boden liegt: "Es geht immer weiter." Doch ob nun in den Himmel, in die Hölle, das bleibt offen.
Ebenso spannend war die zweite Regiearbeit des Abends: Ein Shakespeare Klassiker hatte sich die Absolventin Olivia Müller-Elmau ausgesucht: "Sturm". Wie sie allerdings das Rachezauberspiel um Prospero, seine Tochter Miranda und ihrem Angebeteten Ferdinand anrichtet, hat spielerischen Charme. Aus einer Kiste lässt sie das Personal auftreten, nur Ariel steht schon unten auf der Bühne und lenkt das Geschehen mit ein paar Handbewegungen. Eine interessante Wendung bzw. Besetzung erlaubte zudem einen neuen Blick auf das Stück: Caliban und Miranda werden beide von derselben Schauspielerin gespielt und unterstreichen damit auf das Eindrücklichste, dass die Schönheit im Auge des Betrachters liegt, wie die Liebe natürlich auch. Eine Arbeit, die leicht daherkommt, aber viel von den Jungschauspieler:innen auf fast leerer Bühne verlangt und mit diesem Mut zum Risiko mit diesem Klassiker Neues ausprobiert.
Ivanow, dieser Gutsherr, den die Melancholie bzw. Depression fest am Wickel hat und alles lähmt, was ihn sonst am Leben hielt. Da mögen noch so viele Dias von vergangenen Festen, Urlaubsreisen und schönen Momenten zeugen. Ivanow kann nichts mehr davon erfreuen. Ganz im Gegenteil; alles zieht ihn nur noch weiter hinab. Auch sein Gutsverwalter, der vor Energie sprüht, ist dagegen machtlos. Und der Arzt, der sich um Ivanows kranke Frau kümmert, mit seinen moralischen Vorwürfen erst recht. Denn genau diese Katharina, die einst seine große Liebe war, zieht ihn jetzt noch weiter herunter, ist sie doch der lebende schlechte Gewissen für ihn. So flieht Ivanow Abend für Abend zu den Nachbarn, die er eigentlich verachtet, weil sie so oberflächlich sind. Doch gerade deswegen sucht er bei ihnen Ablenkung. Da passt es ganz gut, wenn ihm dort die junge Tochter des Hauses Sascha die Aufmerksamkeit schenkt, die ihn zunächst reizt, aber schon bald überfordert, weil sie sie mit Ansprüchen verknüpft.
Auf der scheinbaren Chaosbühne arrangiert Regisseur Till Doğan Ertener mit leichter Hand zwischen Dialeinwänden, Klavier und Plastikfolien die verlorenen Seelen dieses Stückes. Toll wenn sein Ensemble die so eindrücklich spielen kann wie Sophia Burtscher, die ihrer Katharina so viele Ebenen zu geben vermochte, dass man ihre Abgründe in jedem Moment spürte, auch wenn sie sie nicht in Worte fasste. Ebenso brillierte sie als verruchte, verrauchte und großspurige Frau des Nachbarhauses. Ertener erschuf so innerhalb von einer kurzen Stunde einen Stimmungsraum, der Lust auf mehr machte.
Birgit Schmalmack vom 24.7.24
|
|
Bachelor 2024 Image: Jona K. Dohr, Max Hörügel
|