Eddie (Felix Knopp) ist ein Arbeiter. Er ist aus Italien in die USA eingewandert und schuftet nun im Hafen von Brooklyn als Tagelöhner. Für ihn hat es sich dennoch gelohnt. Er kann seine kleine Familie, die aus seiner Frau Beatrice (İdil Üner) und seiner Nichte Catherine (Maike Knirsch) besteht, ernähren. Das Mädchen soll es einmal zu mehr bringen. Sie soll der Arbeiterschaft entwachsen. Das ist sein immer wieder erklärtes Ziel. Doch als die 17-Jährige eine gut bezahlte Arbeit in einer großen Firma angeboten bekommt und er opponiert, ahnt man schon, dass es nicht nur darum geht, dass er von einer noch besseren Karriere für sie träumt. Eigentlich will er ihr Erwachsenwerden hinauszögern. Der Konflikt eskaliert, als zwei illegal aus Italien einreisende Verwandte mit in ihre Wohnung ziehen, denn die Nichte verliebt sich in den jüngeren der Beiden. Bei Eddie schrillen alle Alarmglocken. Unter dem Vorzeichen seine Nichte vor den unlauteren Absichten des illegalen Hallodris beschützen zu wollen, läuft er gegen die Beziehung Sturm, während seine Frau in dem Weggang ihrer Nichte auch eine Möglichkeit sieht, ihre erlahmende Ehe wieder in Schwung zu bringen. Es blieb auch ihr nicht verborgen, dass Eddie die süße Catherine ein wenig zu sehr zu lieben scheint. Regisseur Hakan Savaş Mican liest Arthur Millers Theaterstück von 1955 als eine immer noch höchst aktuelle Geschichte über die Sehnsüchte, Enttäuschungen, Entbehrungen und Kompensationsbemühungen von Migranten auf aller Welt. Er verlegt die Geschichte aus den Docks New Yorks in die Hamburger Hafenanlagen. Er mischt dafür die Zeiten. Auf der Rückwand der ansonsten völlig leeren Bühne werden sowohl Bilder von den Gastarbeitern der 60ziger Jahre wie von den heutigen Kaianlagen Hamburgs geworfen. Die durch die Corona-Auflagen notwendig gewordene distanzierte Inszenierungsweise legt eine Metaebene über die heutzutage antiquiert wirkenden Rollenzuschreibungen in der Elterngeneration. Dass Eddie in seiner Verbohrtheit wie der Inbegriff toxischer Männlichkeit auftritt und seine Frau ihm dennoch selbst am Schluss ihrer immerwährenden Liebe versichert, bekommt so eine abstrakte Folie versehen, die im wahrsten Sinne Abstand gewinnen und hinter die gesellschaftlichen Strukturen blicken lässt. Das gelingt auch, weil das Ensemble trotz der aller Herausforderung ihren Charakteren dennoch Seele zu geben vermögen. Eddie wirkt wie ein gebrochener verlorener Mann. Das wird besonders deutlich, wenn er seinen Anwalt immer wieder um Hilfe anfleht und dabei seine Macho-Fassade brüchig wird. Seine Frau erscheint trotz ihrer Treue als eine starke Frau, die dabei durchaus ihre eigenen Ziele verfolgt. Die Nichte entscheidet bei aller Denkbarkeit ihrem Onkel gegenüber klar für ihre Zukunft. Ihr Lover Rodolfo (Johannes Hegemann) changiert geschickt zwischen Lebensgier, Verliebtheit, Oberflächlichkeit und Verantwortungsgefühl. Sein älterer Bruder Marco (Tim Porath) ist letztendlich der unschuldig Leidtragende. Obwohl er in jedem Fall nur die Rolle des unauffälligen Vermittlers innehatte, ist er am Ende derjenige, der ausgewiesen wird. Rudolfo wird wegen seiner Heirat mit Catherine verschont. Dass der Abend so stimmungsvoll und stimmig geriet, ist auch dem einfühlsamen und zeit- und kulturübergreifenden Soundtrack zu verdanken, den die Musikerin Rasha Nahas live und virtuos auf der Bühne erzeugt. Eddie bleibt am Schluss ganz allein zurück. Er hat alle seine Lieben in seinem Wahn die Zeit aufhalten zu können, vertrieben. Er legt eine Platte auf den Plattenspieler: „Schön, schön war die Zeit.“ Birgit Schmalmack vom 2.11.21
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Blick von der Brücke, Thalia Foto: Krafft Angerer
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