Medea und Jason, Thalia

Medea und Jason, Thalia

Medea und Jason, Thalia
Ehetherapie auf offener Bühne



Die Liebe zwischen zwei Menschen muss immer eine Grenze überwinden. Die Verschmelzung, die die erste Verliebtheit vorgaukelt, bleibt stets eine Traumvorstellung. Doch nicht immer ist die Mauer zwischen zwei Liebenden so hoch wie bei Medea und Jason.
Auch auf der Bühne ist die Grenze unübersehbar. Aus eingeschweißten Kleidungsquadern ist sie meterhoch aufgestapelt. Medea und Jason wollten sie dennoch überwinden. Doch sie, die Kolcherin, galt als Barbarin und Zauberin; er als Grieche dagegen als der Zivilisierte. Sie verließ um seinetwillen ihre Familie, verriet ihren Bruder und Vater, um mit ihm zu sein. Doch überall, wo sie gemeinsam ankamen, blieb sie die Fremde. Nur er fand offene Aufnahme. Nach einem ungeklärten Todesfall ist für alle klar: Medea ist die Schuldige. Für Jason ist seine einstige Traumfrau zur Belastung geworden. Als er die Chance bekommt, sie auf Korinth gegen die Königstochter Kreusa auszutauschen, nimmt er dieses Angebot dankend an. Selbst die gemeinsamen Kinder will er ihr nehmen. Sie steht vor dem Nichts und fühlt sie verraten, reingelegt und missbraucht. Sie setzt zur Gegenschlag an, denn sie hat nichts mehr zu verlieren.
Jette Steckel zeigt dieses Liebesdrama als Zweipersonenstück, das von dem Werden und Vergehen einer großen Liebe erzählt. Nur Medea und Jason stehen sich auf der Bühne gegenüber. Sie umringen sich wie Ringkämpfer. Sie gehen aufeinander los. Sie laufen die Wände hoch. Sie beißen sich ineinander fest. Sie umklammern sich. Sie versuchen sich an alte Zärtlichkeit zu erinnern. Doch das Ende ist schon zu Beginn klar. Sie werden sich trennen. Wie in einer Eheaufstellung gehen sie zusammen in die Vergangenheit zurück. „Wann hört das auf?“ – „Wann hat es angefangen?“, fragen sie sich. Sie ringen um ihre Sicht auf ihre gemeinsame Geschichte. Eine Ehetherapie auf offener Bühne, die von den beiden Musikern Friederike Bernhardt und Johannes Cotta am Schlagzeug und Keyboard angetrieben wird. Ein Chor aus Kindern verstärkt ihre Aktivitäten. Meist stehen sie an der Seite von Medea. Sie bringt sie zum Tanzen, zum Singen, zum Springen und zum Laufen.
Maja Schöne ist eine wunderbar intensive Medea. Sie argumentiert intelligent, lässt ihre Reize spielen, geht keinem Kampf aus dem Weg, ist geistig und körperlich eine Powerfrau. Sie kommt sexy eleganten Roben daher, während Jason (Andre Szymanski) in seinen derben Schuhen zu Kniestrümpfen und Kiltrock neben ihr ländlich und altbacken wirkt. Sie ist die Strategischere, die Klügere. Nie erscheinen die Beiden auf gleicher Augenhöhe zu sein. Umso mehr muss er den Überlegenen spielen. Schöne spielt alle Zwischen-, Unter- und Übertöne mit. Szymanski vermag unter diesen Bedingungen nicht all die Zwiespälte Jasons zu zeigen, die diesen Schlagabtausch noch spannender und tiefsinniger gemacht hätten.
Toll dass ein Kind das Schlusswort behält. Die von Medea im Tanz ermordete Tochter steht am Schluss wieder auf und verkündet: "Der Traum ist aus!". Die neue Generation wird das letzte Wort behalten.
Birgit Schmalmack vom 16.5.19


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