Gewalt von links
Die Verknüpfung der beiden Frauen wird durch die Bühnenausstattung (Michael Köpke) auf den ersten Blick deutlich: Sie wohnen in völlig identischen Wohnungen. Die Wohn- und Esszimmer von Julia Albrecht und Corinna Ponto sind identisch eingerichtet. Gleich dreifach und in je drei verschiedenen Lebensaltern(Alicia Aumüller, Sandra Flubacher, Oda Thormeyer, Maria Magdalena Wardzinska) tauchen sie in der Szenerie der beiden Wohnungen auf. Nur zu identifizieren und zuzuordnen durch ihre unterschiedlichen Kleidungen. Diese beiden Frauen waren Patentöchter von zwei Jugendfreunden: dem Bankmanager Jürgen Ponto und dem Anwalt Hans-Christian Albrecht. Sie teilen außerdem ein schreckliches Erlebnis, das ihre jeweiligen Familien auseinander riss. Die Schwester von Julia Albrecht schleuste am 30. Juli 1977 zwei RAF-Terroristen in das Haus von Ponto ein, wo sie Jürgen Ponto erschossen. Die dreizehnjährige Julia verlor dadurch ihre große Schwester und Corinna Ponto ihren Vater. Dreißig Jahre später nehmen die beiden Frauen Kontakt zueinander auf und arbeiten in einem gemeinsamen Buch ihre Vergangenheit und ein Stück deutscher Geschichte auf. Davon erzählt jetzt Gernot Grünewald auf der Bühne des Thalia in der Gaußstraße. Er nutzt dazu den vorgetragenen Wortlaut aus dem Buch, manchmal in kurzen Spielszenen oder in Lesungen vor einem Mikro. Oft absolvieren die Frauen auch Alltagsverrichtungen auf der Bühne: Sie bügeln, decken den Tisch, schauen fern, staubsaugen oder räumen auf, während ihre anderen Vertreterinnen vorlesen. Sie sind bemüht ihren Alltag aufrecht zu erhalten, während ihre bisherige Welt zusammen gebrochen ist. Wie sehr beide, die Opfer- und Täterfamilien von dem Tun ihrer Verwandten in Mitleidenschaft gezogen sind, wird schmerzlich erkennbar. Die RAF-Terroristen töteten nicht nur einzelne Vertreter der verhassten Systems sondern sie verwundeten auch Familien. Ein Kapitel deutscher Geschichte, über das bisher viel zu wenig in der Öffentlichkeit diskutiert wird, das über spektakuläre Entführungsfilme hinaus geht. Grünewald bezieht mit seinem Stück klare Position: Gewalt ist durch keine politische Überzeugung zu legitimieren. Ein überaus spannender und aufrüttelnder Theaterabend. Birgit Schmalmack vom 6.1.19.
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