Zwischen allen Stühlen
Franz Jung (1888-1963) war ein Querkopf, ein Nein-Sager, gerne auch ein Aufrührer und Provokateur. Dabei wechselte der Dichter, Politaktivist, Finanzexperte und Theaterautor je nach Lebenslage gerne die Seiten, riskierte er den Abbruch von Beziehungen, den Verlust aller Geldeinnahmen oder sogar Verhaftung und Gefängnisaufenthalt. Ein Leben für den Moment ohne jeden doppelten Boden. Ein risikoreichen Leben als Achterbahnfahrt, immer getrieben von politischen Ideen, gepaart mit Abenteuerlust und Freude an der Inszenierung als Künstlerexistenz. Von dieser abenteuerlichen Lebensführung berichte er offen, ungeschönt, unprätentiös und mit leichtem selbstironischen Unterton in seiner Autobiographie "Der Weg nach unten", die wie alle seinen anderen Werke in der Edition Nautilus veröffentlicht wurden. Ob als Politprovokateur, als Soldat, als Deserteur, als Wirtschaftsjournalist, als Kommunist, als Lenin-Verehrer, als Fabrikarbeiter oder als Theaterautor - stets stellte er alle Grenzziehungen gezielt in Frage. Unter dem Arbeitstitel "Torpedokäfer" der Autobiographie trugen nun im Lichtmess-Kino die Verlegerin Hanna Mittelstädt zusammen mit dem Schauspieler Jörg Pohl Auszüge daraus vor. Sie legten den Schwerpunkt auf die Zeitspanne von 1910 bis 1931. Die Worte Jungs wurden live von einer E-Gitarre (HF Coltello) untermalt, kommentiert oder kontrastiert. Mit bewegten Bildern (Marija Petrovic), die nie nur illustrierten und sich aus historischen Filmaufnahmen, abstrakten Bildkompositionen und assoziativen Videoanimationen zusammensetzen, wurde diese Wirkung Sinnes erweiternd verstärkt. Die Lesung gab einen Einblick in das rasante Leben des Franz Jung und macht Lust mehr von diesem spannungsreichen Autor, die sich zeit seines Lebens zwischen alle Stühle setzte, zu erfahren. Gute Gelegenheiten dazu bieten einerseits die verschiedenen Titel von Jung in der Edition Nautilus oder andererseits die Revue über das Leben des umtriebigen Aktivisten Jung, die am Berliner HAU für den November 2018 geplant ist und eventuell danach auch für ein Gastspiel nach Hamburg kommen darf. Birgit Schmalmack vom 5.5.18
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