Der Rassismus der Klassen
Wir befinden uns in einem Tonstudio. Mit dunklem Holz getäfelt, einer Kaffeeecke, einem Aufnahmeplatz, einer Leinwand und einem Sofa. Kathy (Nina Hoss) soll hier eine Aufnahme des Buches "Rückkehr nach Reins" von Didier Eribon einlesen, das der Regisseur (Thomas Ostermeier) in einer eigenen Schnittfassung präsentieren und mit eigens dafür zusammengestellten Filmaufnahmen kommentieren will. Eribon war aus seinem Heimatdorf geflohen. Seine Homosexualität schien ihm diese krasse Abkehr nötig zu machen; hier würde er nie akzeptiert werden, weder von seiner Familie noch von seiner Umwelt. Jetzt nach dem Tod seines Vaters kehrt er nach Reins zurück und stellt fest, dass er eigentlich vor etwas anderem geflohen ist: vor seinen Wurzeln in der Arbeiterklasse. Er hat es geschafft: Ihm ist der Aufstieg in die Klasse der Intellektuellen gelungen. Der Philosoph lebt, arbeitet und lehrt in Paris. Bei der Rückkehr versucht er zu verstehen, wie der Zustand dieser Arbeiterklasse sich in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. War es in den Sechzigern völlig klar, dass die Linke auf Seiten der Arbeiterklasse kämpfte, haben die Linken später die Ideen von Leistungsgesellschaft, von Kapitalismus, von Globalisierung und Ausdünnung des Sozialstaat mit in ihr Programme aufgenommen. Mitterand, Schröder, Thatcher waren nur einige der Vertreter, die die Arbeiter nur zu Eigenverantwortung anspornen und damit die Verantwortung der Allgemeinheit reduzieren wollten. Diese Vernachlässigung der Arbeiterklasse hatte in Frankreich dramatische Folgen. Sie wendete sich dem Front National zu. Plötzlich waren nicht mehr die Besitzenden sondern die Ausländer die Feinde, die ein Wir formten. Eribon fordert neue Ideen der Linken, um die gefährlichen Bewegungen wieder umzukehren. Nina Hoss ist am Ende nicht zufrieden. Wie schon während der Aufnahme versucht sie mit dem Regisseur zu diskutieren: "So kann das Ende doch nicht bleiben!" Spontan erzählt sie von ihrem Vater. Auch ein Mann der Arbeiterklasse wie Eribons Vater, im selben Jahr geboren wie Eribons Vater. Als einstiger Kommunist, späterer Grüner, zum Schluss Aktivist in eigener Regie war ihr Vater jedoch immer jemand, dem es weniger um die große Politik als vielmehr um die Inhalte und konkreten Ziele ging. So arbeitet er jetzt mit Eingeborenen in Regenwaldprojekten und leitstet ganz konkrete Hilfe zur Selbsthilfe für eine bessere Welt. Statt hehrer Utopien ist er ein Mann der praktischen Umsetzung. So können linke Aktionen auch aussehen. Auf den ersten Blick scheinen beide Teile des Abends nur wenig miteinander zu tun zu haben. Dennoch ist der zweite könnte die Antwort auf die Frage sein, die Eribon am Ende offen lässt. Wo Eribon und damit der Regisseur sich ganz auf das Versagen der Linken und ihre Verantwortung der Erstarken des Rechtsnationalen fokussiert, will Nina Hoss die linken Inhalte in den Mittelpunkt rücken. Intellektuelle Analyse der linken Ideen steht konkreten, solidarischen Taten gegenüber. Ein ungewöhnlicher Theaterabend, der fast völlig auf Aktion verzichtet, stattdessen einem bebilderten Hörstück gleicht. Doch damit passt er gut zur Vorlage des Buches von Eribons, dass sich ebenfalls sparsamer Mittel bedient. Das Gastspiel der Berliner Schaubühne bei den Lessingtagen wurde auch deswegen zu einem besonderen Ereignis, weil statt des erkrankten Hans-Jochen Wagner Thomas Ostermeier selbst den Regisseur spielen musste. Er war wie geschaffen für die Rolle. Birgit Schmalmack vom 5.2.18
|
|
Rückkehr nach Reins Foto: Arno Declair
|