Martin Luther Propaganda Stück, Thalia

Martin Luther Propaganda Stück, Thalia

Experiment zu Log-Budget-Bedingungen

Die Leerstelle eröffnet die Möglichkeit zum Glauben. Nicht der Beweis für die Existenz Gottes gibt Freiheit sondern gerade das Fehlen des Beweises. So verzichtete der ungläubige Thomas darauf seine Hand in die Wunde Jesu Christi zu legen und entging damit dem Zwang zum Glauben.
Dieser Auffassung ist auf jeden Fall der Moderator (Malte Scholz) des heutigen Abends "Martin Luther Propaganda Stück", der laut seiner eigenen Aussage schon bei früheren Aufführungen etliche Fragen aufgeworfen hätte. Das ist auch beim Hamburger Gastspiel im Thalia in der Gaußstraße nicht anders. Denn Boris Nikitins Arbeit, die er zusammen mit dem Performer Malte Scholz entwickelt hat, spielt mit dem Uneindeutigen. So kommt Malte zunächst als Conferencier, dann als Pastor, als Demagoge, als Terrorist, als Extremist und schließlich als Heilsprediger daher. Er wechselt so schnell seine möglichen Rollenzuschreibungen, dass es schwer fällt, den Abend zu greifen. Letzterer gefällt sich so sehr in seiner Uneindeutigkeit, dass er bald in eine Beliebigkeit abzudriften droht. Das liegt auch am dem Fehlen eines inszenatorischen Rahmens. Nikitin stellt Scholz einzig einen Laien-Gospel-Chor aus Berlin-Pankow an die Seite, der mit harmonischen Halleluja-Klängen die Pseudo-Harmlosigkeit des vermeintlichen Propagandisten unterstreicht. Dieser schwadroniert derweil z.B. von der Schönheit der Terrorakte, die den Terroristen endlich seine Wirksamkeit fühlen lässt und den Opfern die Freiheit des Nicht-Lebens schenkt.
Malte Scholz ist der schüchterne Normalo in Karohemd über Jeans zu kreisrunder Metallbrille. Er ist ein Durchschnitts-Scholz, der Propaganda betreibt. Aus diesem Ansatz hätte ein interessanter Abend werden können, wenn sich das Team nur zu einer Regie- und Spiel-Haltung hätte entschließen können. So blieb es aber bei einem "Experiment zu Low-Budget-Bedingungen" und bei "kurzer Probenzeit", wie Nikitin beim anschließenden Publikumsgespräch entschuldigend erklärte.
Birgit Schmalmack vom 31.1.17


(C) 2006 - Alle Rechte vorbehalten

Diese Seite drucken