In Zeiten der Diskussion über die Konsequenzen der Entwicklungen in der KI bekommt der Stoff „Frankenstein“ von Mary Shelley aus dem Jahre 1818 eine neue Aktualität. Das Berlin Open Theatre hat sich ihm jetzt angenommen, ohne allerdings gewollt Modernisierung einzubauen. Das ist auch nicht notwendig. Diese Parallelitäten tauchen ganz von alleine beim Zuschauen auf. In der sehr sparsamen Ausstattung auf der leeren schwarzen Bühne des Verlängerten Wohnzimmers in Friedrichshain wird die Geschichte vom Forscher Frankenstein und seiner allzu menschlichen Kreatur in der schnellen Szenenfolge mit wechselnden Rollen, die stets nur durch ein weiteres Kostümattribut deutlich gemacht werden, erzählt. Die Inszenierung verlässt sich auf die konzentrierte Theaterfassung von Nick Dear nach dem Romanstoff in den Mittelpunkt der dramatischen Entwicklung stellen sie das Geschöpf und seinen Erschaffer (hier beide von weiblichen Darstellerinnen gespielt). Frankenstein verstößt sein Geschöpf, nachdem ihn sein Äußerliches zu sehr abstößt. Und das Wesen zeigt unerwarteter Weise Emotionen. Es fühlt sich zurückgewiesen, einsam und ungeliebt. Auf der Suche nach Kontakt erfährt es so viele Zurückweisungen, dass es auf Rache umschaltet. Es wird durch die Unmenschlichkeit der Menschen in die Bösartigkeit getrieben. Um seinem Schöpfer nahe zu kommen, tötet es seinen Bruder.
Frankenstein erkennt, dass er sich seiner Verantwortung stellen muss. Er muss sich mit seiner Kreatur beschäftigen und auseinandersetzen. Er kann sie nicht weiter verleugnen. Im Schlussbild hängen sie beide in einer engen Umarmung fest, die zugleich Kampf, Abhängigkeit, Verantwortung und Verbundenheit beinhaltet. Frankenstein und seine Kreatur bleiben aneinander gekettet. Der Mensch und seine Geschöpfe werden sich nicht voneinander lösen und er wird sich seiner Verantwortung nicht entziehen können. Das galt damals und gilt auch noch heute. Die Inszenierung des Open Theatre lebt von der behutsamen Umkreisung der inneren Verfasstheit der Personen. Besonders die Psyche der beiden Hauptpersonen wird sorgfältig analysiert und in all ihren Facetten von den beiden Schauspielerinnen gezeigt. Nach ihrer letzten Aufführung in Berlin fährt das Berlin Open Theatre nun nach Edinburgh zum Fringe Festival, um ihre Arbeit dort zu zeigen. Birgit Schmalmack vom 1.8.23
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