Die weibliche Stimme aus dem Off versichert immer wieder: "Alles unter Kontrolle!". Doch gerade deswegen steigt der Level der Beunruhigung. Denn man schreitet durch Gänge, die wie die Flure in einem Gefängnistrakt gestaltet sind. Die vorgezeichneten Wege sind eng, an den Seiten begrenzt durch Barrieren aus durchsichtigen Wänden und nach oben hin mit Gittern abgesperrt. In Gruppen zu zehnt darf man sie durchschreiten, Nummern an den Stationen definieren sogar den Stellplatz und damit die Perspektive. Schon die erste Station verheißt nichts Gutes. Denn der personifizierte Aufnahmezustand, der hier als binäres Wesen (Dominic Hartmann) in Lederminirock und mit Glatze auftritt, verbreitet mit seinen hektischen Bericht seiner Aktivitäten Unwohlsein. Der Ausnahmezustand hat alles im Blick und kommt jedem ziemlich dicht, dichter als in diesen Zeiten gewohnt. Immer wieder stellt er sich direkt vor die Zuschauenden, nur durch die Plastikfolie getrennt, und blickt ihnen in die Augen. Wenn der Ausnahmezustand regiert, bedeutet Kontrolle, dass die Eigenverantwortung nicht erwünscht ist. Weiter geht es durch die engen Labyrinthe im Theater, die mit Stethoskoplicht in Zonen der zerhackten, unsicheren Schritts verwandelt werden. Noch fünf weitere Stationen werden zu durchlaufen sein in der Theaterinszenierung von Oliver Frljić, die die jetzigen Verhältnisse unter Beobachtung nimmt. Auch die im Gorki Theater speziell. Schon an der zweiten Station landet man in der „Hölle der Repräsentation“. Hier wird die Schauspielerin Maryam Abu Kahled verhört. Sie habe sich schuldig gemacht. Sie habe ihre eigene Biographie auf der Bühne verarbeitet und damit die Grenze zwischen Theater und Realität verwischt. Sie ist verwirrt. Schließlich sei das genau ihre Aufgabe als Schwarze Palästinenserin hier auf einer Berliner Bühne. Einen ähnlichen Aspekt reflektiert der Schauspieler Kinan Hmeidan in seinem Bericht über seinen Weg ans Gorki. Nur sein Bühnenvertrag sicherer ihm einen sicheren Aufenthalt. So sei das Theater sein neues Gefängnis. Im eigentlichen Theatersaal können zwei seltsame, wortlose und rätselhafte Szenen beobachtet werden. Zuerst beobachtet man von der Seite, wie eine weiße Frau (Lea Drager) in dem Buch „Onkel Toms Hütte“ liest und von ihrer Schwarzen Dienerin (Abak Safaei-Rad) zuerst ein Glas Milch serviert bekommt und dann mit einem Messer erstochen wird. Kurz vor Ende blickt man auf den Saal von den Rangplätzen herab und beobachtet, wie die weiße Frau Schaumküsse in Brötchenhälften klatscht und sich anschließend mit dem Inneren eines Schaumkusses White-Facing betreibt. Alles im Angesicht der schwarzen Frau, die ihr aus einem der Theatersessel zuschaut. Die vorletzte Station ist die eindrücklichste, weil sie den Zuschauenden kalt erwischt. Wieder in der Mitte ein Glaskasten, um den herum die Zuschauenden an ihren Plätzen stehen. Jetzt erst wird die Bedeutung ihrer Nummerierung richtig klar. Denn während Mehmet Yilmaz die analytischen Kekse zubereitet, dafür den Teig knetet ausrollt und dabei die durchlaufenen Stationen erklärt, steht man unvermittelt sich selbst gegenüber. Platziert vor einem großen Bildschirm blickt man sich selbst in die Augen, dem eigenen abschätzigen Blick und zwar in einer Aufnahme, die während der ersten Station des Ausnahmezustands entstand. Während also die „Cookies“ völlig unbemerkt gesetzt wurden, weiß man: Alles unter Kontrolle. Die Frage ist nur von wem? Ein Stationenlauf durch die Stadien der Verunsicherung hat Frljić hier in Szene gesetzt. Spannend, abwechslungsreich und voller kleiner Überraschungen. Nicht unbedingt voller neuer Gedanken, aber faszinierend in seiner konsequenten Ausrichtung. Gerne hätte man noch ein paar weitere derjenigen Stationen erkundet, die auf dem Programmzettel vermerkt waren. Doch nach 70 Minuten wird man wieder unvermittelt nach draußen ins sommerliche Berlin geschubst. Es kommt einem plötzlich unwirklich, pseudoreal und nicht weniger verunsichernd war. Birgit Schmalmack vom 23.6.21
|