„In einem guten Land braucht’s keine Tugenden, alle können ganz gewöhnlich sein, mittelgescheit und meinetwegen Feiglinge." So heißt es an einer Stelle. Doch auch unter einen schlechten Regierung, die sein Volk in den Krieg geführt hat, bringen die Menschen keine Tugenden hervor, das macht „Mutter Courage“ von Bertolt Brecht überdeutlich. Anna Fierling steht als allein erziehende Mutter, die sich mitten im Krieg schützend vor ihre drei Kinder stellt, eigentlich als Sympathieträgerin im Mittelpunkt des Stückes. So auch in der Anfangsszene von Frljić‘ Bearbeitung fürs Gorki. Unter ihrem Fallschirmnetz hat sie sie alle drei versteckt, um sie vor den Kriegswirren zu bewahren. Als Mutter ohne männlichen Schutz versucht sie sie mit ihrem Marketenderwagen durch die Notlagen des Schlachtgetümmels zu bringen. Im Krieg sind die Güter, die sie bringt Mangelware. Damit lässt sich Geld machen, das im Frieden nicht zu gewinnen wäre. Doch auch diese Mutter Courage steht auf Leichenbergen. Ihr Weg ist gepflastert mit toten Körpern. Wer sich erst einmal im Krieg eingerichtet hat, kann auf Frieden verzichten. Das geht auch Mutter Courage so. Frieden, den kann sie nicht gebrauchen, wenn er ihr das Geschäft vermasselt. Ihre Härte zu sich selbst gibt sie auch an ihre Kinder weiter. Ihre stumme Tochter Katrin kann sie nicht schützen. Sie wird geschändet. Ihre beiden Söhne verliert sie an die Armee. Zum Schluss zieht sie alleine weiter. Doch Regisseur Oliver Frljić ist fern davon, Mitleid zu erzeugen, selbst das Einfühlen in die einzelnen Lebensgeschichten erlaubt er den Zuschauer:innen nicht. Denn er lässt alle Rollen kontinuierlich durchwechseln. So bleibt Berührung durch die Personenführung aus. Stattdessen setzt er immer wieder auf Knalleffekte, die ihre Wirkung nicht verfehlen. Dramatische dröhnende Musik, überraschende Feuerzündungen und von der Decke baumelnde Leichen, z.T. in Leichensäcke verpackt, z. T. als lebend große Puppen. Durch den stetigen Rollenwechsel kann nur jemand die Handlung genau verstehen, der den Originaltext kennt. Frljić will keine Einzelschicksale herausstellen, denn der Krieg ist ein großer Gleichmacher. Ob Mann oder Frau, alle machen sich die Hände dreckig. Aktualisierungen angesichts der derzeitigen Lage in einem Europa, in dem wieder Krieg herrscht, unterlässt er. Die Botschaften versteht man auch so: Im Krieg macht man keine Geschäfte, ohne Schuld auf sich zu laden. Und: Der Krieg ist ein grausiges Geschäft, bei dem keiner tugendhaft bleiben kann. Auch keine Mutter Courage. Birgit Schmalmack vom 13.10.22
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