"Life after BOB" in der Halle am Berghain

Knallbunter Selbstoptimierungstrip



Der erste BOB-Version führte zum Selbstmordversuch des Probanden. Doch Dr. Wong will nicht aufgeben, er glaubt fest an seinen Selbstoptimierungs-Programm. So fest, dass er die nächste Version seiner eigenen Tochter als Chip einpflanzt. Mit ihr will er beweisen, dass der neue “Bag of Beliefs” mittels Künstlicher Intelligenz den Menschen genau dorthin bringt, wo er sich selbst verwirklichen, seine individuellen Talente optimal ausschöpfen und ein rundum zufriedenes Leben führen kann. Doch wer ist der Mensch, wenn er von einem Chip gesteuert wird? Das beginnt Tochter Chalice im Laufe ihres zweiten Lebensjahrzehnts immer stärker zu hinterfragen. Einerseits fühlt sie sich ohne ihren BOB verloren, andererseits möchte sie gerne wissen, wie sich ihr eigenes Ich anfühlen würde ohne diesen Chip zwischen ihren Augen. Doch sie kennt kein Leben ohne BOB. Käme sie alleine überhaupt zurecht? Und welche Rolle spielt ihr Vater dabei? Nutzt er sie vielleicht als Versuchskaninchen aus? Oder will er genau damit nur das Beste für sie? Sein lakonische Antwort darauf: „Ist Erziehung nicht dasselbe wie Programmierung?“
Auf diese an Action und Kapriolen überaus reichen Sciencefiction- Episoden um Chalice werden die Besucher:innen der Ausstellung "Life after BOB" (9.9.-6.11.) in einer meditativen Installation eingestimmt. Denn wenn man die Halle des Berghain betritt, taucht man zunächst in ein blaues Lichtermeer ein. Und zwar wortwörtlich. Auf Brusthöhe sorgt ein blauer Rundum-Laserlichtstreifen dafür, dass man das Gefühl hat, in einen See einzusteigen, auf dem sich die Wolken spiegeln. Nach unten ist der Blick vernebelt. Wenn man jedoch unter die Wasserlichtoberfläche gleitet, befindet man in einer Unterwasserwelt, in der nur die unteren Körperhälfte der herumlaufenden Menschen zu sehen sind. Bequeme Sitzkissen laden hier zum Verweilen ein. Die gute halbe Stunde dieser Installation gibt genügend Zeit, um mit dem Lichtermeer zu spielen. Dies und die wabernde Musik, die dabei gleich bleibend die leere Halle erfüllt, stellt einen kompletten Kontrast zu der überbordenden Bilder-, Farben, Sound- und Fantasieflut dar, die einen danach in dem extra abgetrennten kleinen Kinosaal erwartet. Chalice wird von einer Fantasiewelt in die nächste katapultiert, denn die Game-Engine, mit der Künstler Ian Cheng seine Serie gestaltet hat, kennt keine Grenzen. Die animierten Bilder müssen sich an keiner umsetzbaren Realität messen lassen. Dabei könnten die philosophischen Fragen, die die Serie durchaus anspricht, fast in der Hintergrund geraten. Im dritten Teil dürfen die Besucher:innen selbst in die Filmwelten einsteigen und sie mit ihrem Smartphone als Fernbedienung mitgestalten.
Zum Schluss erfährt man noch seinen neuen Namen. As ich den QRCode meines Armbands scanne, erfahre ich, dass ich eigentlich "Star Child" heiße. Vielleicht eine Möglichkeit mein wahres Ich als Sternenkind zu entdecken? Doch nach diesem Trip durch den Berghain bin ich skeptisch. Vielleicht bin ich doch zufriedener, wenn ich ganz ohne die Einflüsterungen eines KI-ÜberIch namens BOB meinen Lebensweg erkunde?
Das Berghain in Berlin reiht sich in eine Kette namhafter Ausstellungsräume ein: Immerhin war der Künstler Ian Cheng bereits im Museum of Modern Art in New York, im Moderna Musset in Stockholm und bei der Liverpool Biennal zu sehen. Und kritische Fragen zu Möglichkeiten und Nebenwirkungen Künstlicher Intelligenz dürften im Moment Konjunktur haben. Besonders wenn sie mit bunt animierter Unterhaltung und einem Hauch Kunst in spektakulärer Architektur gepaart sind.
Birgit Schmalmack vom 27.10.22


Life after BOB Ian Cheng

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