Das ist kein Stück vom Verschwinden, kein Stück vom Neubeginn, kein Stück mit einer Heldengeschichten, nein, es ist ein Stück von der Sehnsucht danach aus dem Einerlei des immer Wiederkehrenden auszusteigen und diesen Tag zu einem ganz besonderen zu machen, an dem etwas Neues startet. Doch jeden Tag geht die Sonne, „die alte Sau“, am Himmel wieder auf und man steigt in den Bus ein, um sein Tagwerk zu verrichten. Jeder Tag eine verlorene Chance um zum Helden zu werden. Doch wozu auch? Wofür lohnt sich das Aufstehen und Aufbegehren? Irgendwas brennt doch immer in der Welt. Würde es einen Unterscheid machen, gegen eines dieser Probleme vorzugehen? Ist nicht eh alles egal?
Genau diese Stimmung fängt die Inszenierung „Die Vorüberlaufenden“ in der Tischlerei der Deutschen Oper perfekt ein. Nach der Kurzgeschichte von Kafka „Die Vorüberlaufenden“ hat Gerhild Steinbuch ein Libretto für zwei Schauspielerinnen und vier Sänger (Valeriia Savinskaia, Arianna Manganello, Philipp Jekal und Samuel Park) und zwei sprechenden Akteur*innen (Johanna Link und Sylvana Seddig) verfasst, das die Haltung des „Egal!“ auf die Bühne der Tischlerei bringt. Dazu wurde sie in zwei Hälften geteilt und mit einem Laufsteg in der zweiten Etage versehen, zu dem man über eine Treppe hinauf und über eine Rutsche hinab kommen kann. In steifen Roben sind die beiden Spielerinnen gekleidet. Wie Marionetten hängen sie damit am Haken des Weltgeschehens. Sie werden hin und her über die Brücke gezogen. Und stürzen sich irgendwann über so viel Abhängigkeit in die Tiefe. Doch nichts passiert. Weder die Vorüberlaufenden sind zu einer anderen Aktion als Gaffen fähig noch ändert sich etwas in ihrem Leben. Sie stehen einfach wieder auf und machen weiter wie bisher. Die Müdigkeit der Vergeblichkeit legt sich wie eine zweite Haut über die Menschen und zieht sie ins Nichtstun hinab.
Die Komposition von Andrej Koroliov, die von dem kleinen Kammerorchester interpretiert wird, untermalt die Atmosphäre gekonnt mit sanften, mit schrägen mal mit begleitenden Tönen. Selten drängt sie sich in den Vordergrund, meist hat sie dem Text dienende Funktion. Nur einmal darf sie die Hauptrolle spielen: Als sich die vier Sänger mit ihren Notenblättern auf die Brücke stellen und in einen einem Madrigal ähnlichen Teil einstimmen. Da gleiten sie zusammen in eine Fantasievorstellung ab: Dass sie einmal aus ihrer Lethargie ausbrechen und helfen könnten und zu echten Helden werden könnten. Doch natürlich bleibe das einer Fantasie. Zum Schluss fährt der Bus wieder wie täglich und das Einerlei des Alltags geht wie zuvor weiter.
Ein in seiner Umsetzung mit den hervorragenden Darsteller:innen in dem eindrucksvollen arrangierten Bildern und der passenden musikalischen Untermalung äußerst sehenswerter Abend, der die Aktualität von Kafkas Texten einmal wieder unter Beweis stellt.
Birgit Schmalmack vom 18.10.21
|