Gift, Sprechwerk

Gift, Sprechwerk



Herausragendes Gastspiel im Sprechwerk

Nach zehn Jahren treffen sich die beiden Ex-Ehepartner zum ersten Mal wieder. Zum Millenniumswechsel hatte der Mann (Thomas Dehler) seine Frau (Sarah Kattih) verlassen. Knapp ein Jahr davor war ihr gemeinsames einziges Kind bei einem Autounfall gestorben. Wie geht ein Elternpaar mit dem Tod ihres Kindes um? Gibt es ein Leben danach? Ist so etwas wie Glück wieder möglich? Ihre Antworten sahen so unterschiedlich aus, dass sie zuerst ihr Kind, dann sich selbst und schließlich einander verlieren.

Die Mutter hat ihre Hoffnung auf einen möglichen Neuanfang längst begraben. Sie funktioniert in ihrem Alltag. Denn sie war nicht nur süchtig nach Schokolade und Schlaftabletten sondern mittlerweile auch nach dem Gefühl des Leidens. Der Moment, in dem sie ihren Sohn nach seinem Autounfall auf der Intensivstation noch einmal in den Armen halten konnte, war für sei der letzte perfekte Moment in ihrem Leben. Sie lebt in dem Gefühl, dass wenn sie ihr Leiden aufgeben würde, sie auch ihren letzten Faden zu ihrem Kind kappen würde. Ihrem Ex-Mann wirft sie genau diesen „Verrat“ vor. Denn dieser ist einen anderen Weg gegangen. Er konnte in ihrer Dauertrauer keinen Sinn sehen und schloss an dem ersten Silvester nach dem Unfall die Tür hinter ihrem gemeinsamen Leben endgültig zu. Er wählte den Weg in ein neues Leben. Er zog von Holland nach Frankreich und fand eine neue Partnerin, mit der er jetzt ein Kind erwartet.

In dem kargen Friedhofsgebäude begegnen sie sich nun erstmals wieder, weil das Grab ihres Sohnes wegen eines angeblich vergifteten Bodens umgebettet werden soll. Schnell geraten sie wieder in ihre alten Rollenmuster. Vorwürfe werden mit Gegenvorwürfen pariert. Die Frau bricht in Tränen aus, der Mann fühlt sich zu kleinen Zeichen des Trostes genötigt, die sie empört zurückweist. Noch immer finden sie zu keinen gemeinsamen Formen der Erinnerung und der Verarbeitung. „Ich verstehe dich nicht!“ können sie gegenseitig bestätigen. Erst als der Mann begreift, dass das Treffen von der Frau inszeniert worden ist, erkennt er ihre Not und geht einen Schritt auf sie zu.

Bei Rotwein und Käse reden sie miteinander. Sie hören sich zu. Sie denken sich in die Sichtweise des anderen ein. Der Mann erzählt seiner Ex-Frau von dem Lied, das ihn einst selbst getröstet hat: „It must be so“. So schließt diese Begegnung zwar nicht mit einem „Strich unter die Vergangenheit“, wie der Mann es sich erwünscht hatte, aber mit einem „So war es“, das nichts verändert, nichts beschönigt und mit nichts versöhnt, aber trotzdem den Blickwinkel verschiebt.

Das kluge Stück von Lot Vekemans nimmt gefangen. Ganz unspektakulär zeigt es gelebtes Leben in Echtzeit. Unter der sensiblen, zurückhaltenden Regie von Claus Tröger können die beeindruckenden schauspielerischen Leistungen der beiden Darsteller glänzen. Die Inszenierung vom Theaterkahn aus Dresden liefert den Beweis, dass es auch in Zeiten der Postdramatik wunderbar schnörkelloses, intensives Dialog- und Zuhörtheater gibt.

Birgit Schmalmack vom 14.1.20


Zur Kritik von

Dresdner Nachrichten 
 
 

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