Wir sind anders. Wir sind weiß.
„Wir sind viele. Wir sind reich. Wir sind stolz. Wir sind gerne betroffen. Wir schlagen gerne über die Stränge, einmal im Jahr. Wir bewahren die Werte der beschwerten Tradition.“ Der „Heimatchor“ taucht mitten zwischen aus den Zuschauerreihen auf, sammelt sich als Masse oder meldet sich aus den fünf Mülltonnen auf der Bühne zu Wort. Denn auch das verraten sie: „Wir sind sauber. Wir trennen unseren Müll.“ Wenn der Heimatchor also seine Deutschlandhymnen anstimmt, ist der ironische Unterton vorgegeben. Dabei fängt alles eigentlich ganz harmlos an: Mario und Barbara haben neue Nachbarn bekommen. Paul und Linda sind nebenan eingezogen. Man macht sich bekannt. Dann klopft ein Mann bei ihnen an die Tür. Während er nebenan abgewiesen wird, nimmt Barbara ihn auf. Ein Flüchtling aus Afrika (oder doch Asien?), mit Namen Bobo (oder doch Klint?) wird ab sofort zum ständigen Diskussionspunkt der Vier. Muss man sich vor dem Fremden fürchten? Ist man ihm etwas schuldig, wenn es den Deutschen so gut geht? Darf man ihn zu kleinen Gefälligkeiten im Haushalt verpflichten? Haben sich die Deutschen ihr Wohlergehen verdient oder auf dem Rücken der nun Flüchtenden erschlichten? Gehören nicht alle Deutschen zu den historischen Wissenden, auch wenn der einzelne erfolglos sein mag? Für Barbara wird ihr Gast zum Inbegriff des Schmerzes und zur Metapher für etwas Größeres. Paul fängt an sich einen Schutzraum in seiner Wohnung zu bauen, weil er die Aggression der Besitzlosen fürchtet. Linda interessiert sich erst für ihn, als sie ihn als erotisch potenten Exoten wahrnimmt und Mario wollte nur etwas Gutes tun und ärgert sich zunehmend, dass seine Frau so viel Zeit mit dem Mitbewohner verbringt. Schon diese Dialoge zwischen den Vier spießen zielgenau all die verbrämten Selbstgefälligkeiten, versteckten Überheblichkeiten, die bequemen Lügen, die unhinterfragten Vorurteile und die gerne verwendeten Argumentsketten auf. Der Wiedererkennungswert ist hoch. Im Lachen über Linda oder Paul blickt man unversehens in den Spiegel. Doch der Autor spitzt die Handlung noch weiter zu und lässt einen Mord geschehen. Der Text von Philipp Löhle ist unheimlich sprachgenau, vielschichtig und zielsicher. Regisseur Murat Yeginer inszeniert das Stück als komödiantische Gesellschaftskritik, die noch während des Lachens in Abgründe blicken lässt. Die vier Darsteller der Hauptfiguren (Rabea Lübbe, Tino Führer, Konstantin Graudus und Meike Anna Stock) arbeiten die Nuancen ihrer Figuren bestens heraus. Der Zeitpunkt der Premiere könnte nicht passender sein. Ein Stück, das viel Stoff zur aktuellen Debatte um den Umgang mit den Flüchtlingen in Deutschland bietet. Unbedingt sehenswert! Birgit Schmalmack vom 26.8.15
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Wir sind keine Karbaren by Oliver Fantitsch.
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