Alles für die Kunst
Starre Rollenkonzepte in der Partnerschaft hat man lange überwunden. In einer modernen Ehe arbeiten beide in Vollzeit und kümmern sich zu gleichen Anteilen um den Rest aus Kindern und Haushalt. Soweit zumindest in der Theorie. Bei Michael und seiner Frau sieht es allerdings so aus: Der zwölfjährige Sohn Vincent könnte laut eigener Aussage beide Arme in Gips haben und seine alsArzt und Künstlerin viel beschäftigten Eltern wurden es nicht mitbekommen. Dass zudem der Haushalt nicht erledigt wird, lässt Jessica Schmidt auf den Platz neben dem Esstisch rücken. Eine Putzfrau und Köchin muss her, damit endlich auch der Sohn versorgt ist. Jessica nimmt ihren Platz ergeben ein. "Bei der Arbeit mache ich mir keine Gedanken!", ist ihr Mantra, wenn die Hausherrin ihr mal wieder ein Gespräch über vermeintlich missverstandene Vorkommnisse aufdrängen will. Auf die stoisch agierende Jessica können alle ihre Wünsche projizieren, weil sie alles gelassen hinnimmt und wenig sagt. So klagt die Ehefrau ihr schon bald ihre sexuelle Unzufriedenheit, der Mann heult sich bei ihr die Zurückweisung seiner Frau aus und der Sohn hilft ihr beim Putzen, um wenigstens einem in dieser Wohnung nahe sein zu können. Dieses arrivierte Paar, das es scheinbar geschafft hat, sich eine stylische Wohnung mit viel Beton, großem Esstisch, offener Küche und Röhrenlampen, Bioprodukte und Fernreisen leisten kann, schiebt alle Leerstellen in ihren Beziehungen vor sich her. Jeder ihrer Kommunikationsversuche ist von Vorwürfen und Schuldzuschreibungen geprägt. Ständig Du- statt Ich-Botschaften. Dass Ulrike sich in ihrer Ehe so dominant positionieren muss, liegt auch an ihrer unterwürfigen Haltung gegenüber ihrem Chef, dem großen Selbstvermarktungskünstler Haulupa, der sich eine gestandene Ex-Künstlerin als Assistentin leisten kann. Dieser Macho und Ober-Chauvi erklärt schlicht sein ganzes Leben zur Kunst und das der Normalo-Familie von Michael und Ulrike, in die er kurzerhand mit seiner Kamera einzieht, gleich mit. Die Putzfrau Jessica leiht er sich als seine Muse und "Putzfrau der Gesellschaft" mit hoher Symbolkraft aus. Wer sich gegen seine Vereinnahmung zu wehren wagt, wird von ihm vor der Kamera zerfleischt und in einer Galerie ausgestellt. Marius von Mayenburg hat mit seinem Stück "Ein Stück Plastik" einen doppelten Yasmina-Reza-Verschnitt hingelegt. Eine Mischung aus "Kunst" und "Der Gott des Gemetzels" ist vielleicht für ein Stück ein bisschen zu viel von allem, aber so kommt nie Langeweile auf. Doch vielleicht hätte es auch genügt, bei diesem Familienkonstrukt ein wenig länger und genauer hinzuschauen und sich ohne den Kunstüberbau der Analyse der fehlenden Kommunikationsstrukturen und ihrer Auswirkungen zu widmen. Regisseurin Maike Harten hat fünf wunderbare Schauspieler für die Rollen gefunden und aus dem Stück einen sehenswerten Abend gemacht. Der hilflose, stets rot anlaufende Markus Frank als Michael mit seinem Zauselbart, die strenge herrschsüchtige und unterwürfige Vivien Mahler als Ulrike, die Kopf einziehende, brav wirkende und hintersinnige Julia Schmelzle als Jessica, der rebellisch auftretende und um Liebe heischende Johan Richter als Vincent und der Kotzbrocken Christoph Finger als Haulupa, alle sind eine Idealbesetzung. Alles nur ein Spiel für die Kunst, meint Haulupa am Ende, doch das letzte Worte soll die Putzfrau behalten. Jubelnden Applaus gab es bei der Premiere am Mittwoch im Theater Kontraste. Birgit Schmalmack vom 1.3.17
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Ein Stück Plastik Oliver Fantitsch
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