Hamburger Jedermann

Kritik von 11.7.06



Aus Ideen werden Märkte

"Haben die Pfeffersäcke noch nicht genug gestohlen, müssen sie auch noch den Teufel wieder holen?" beschwert sich der feuerspuckende Bösewicht (Erik Schäffler), als er von einem Fleetenkieker aus der Elbe gefischt wird. Die Hansestadt Hamburg, die für ihn hinter ihrer Schönheit nur ihre Geldgier verbirgt, liebt er nicht besonders. Die Schmach von Teufelsbrück zehrt immer noch an ihm. Doch als der Tod (Wolfgang Hartmann) ihm berichtet, dass er den Hamburger Kaufmann Jedermann (Robin Brosch) holen will, erwacht seine Jagdlust. Er trotzt ihm ein Versprechen ab: Er wird die Seele des Jedermann bekommen.

"Jedermann, jeder Zeit, jeder Art, wenn es sich lohnt" ist das Lebensmotto des erfolgreichen Managers, das er zum Besten gibt, nachdem er im BMW mit eleganter Freundin vorgefahren ist. Der gewitzte Teufel weiß seine Stunde zu nutzen. Er erschleicht sich vom schnieken Jedermann dessen Seele, indem er ihm als Gegengabe die gesamte Speicherstadt zusichert. Beide glauben ein gutes Geschäft gemacht zu haben. Der skrupellose Jedermann, weil er so etwas wie "Seele" nur für einen antiquierten Begriff aus einem Wörterbuch für Pleiten hält, und der Teufel, weil er sich einen Leckerbissen verspricht. Doch nicht nur der gewiefte, bisher stets erfolgreiche Jedermann muss einsehen, dass er als dem Tod Geweihter dringend eine Seele benötigt hätte. Auch der Teufel hat ein Nachsehen, weil er erkennen muss, dass ein Mensch wie Jedermann keine Seele besitzt. Sein grenzenloser Geltungsdrang und Machtstreben haben keinen Platz für Gefühle, Wünsche, Menschlichkeit und Moral gelassen.

Auch im dreizehnten Jahr hat der Hamburger Jedermann in der Regie von Michael Batz nichts an Charme und Aktualität eingebüsst. Gerade die Erbauung der Hafencity direkt hinter dem Spielort zwischen den alten Kontorhäusern lässt die von Jedermann anvisierte Verjüngung des alten Backsteins durch Chrom und Glas kein bisschen übertrieben wirken. Der diesjährige Hauptdarsteller Robin Brosch ist ein smarter Jedermann, dem man seine Erfolgsverwöhnheit sofort glaubt. Mit dem bewährten Erik Schäffler als Teufel hat er ein perfektes Gegenüber, das mit seiner charmanten Verschlagenheit der Aufführung besondere Persönlichkeit verleiht.

Birgit Schmalmack vom 11.7.06


Kritik vom 14.7.03

Diese Welt vertreibt die Seele

In die "verstaubte Kulisse des Kaufmannstolzes aus Backstein" bringt das Theater in der Speicherstadt auch im 10. Jahr mit dem "Hamburger Jedermann" eine Geschichte, die nichts an Aktualität eingebüßt hat. Aktualisierungen der Bezüge zur derzeitigen Hamburger Politik sorgen zusätzlich für eine Textfassung, die stets auf der Höhe der Zeit bleibt.

Das Drama des ehrgeizigen hanseatischen Kaufmannes Jedermann (Rolf Becker) scheint wie für diese Zeit geschrieben zu sein. Ist dieser doch stets auf der Suche nach dem Gewinn, dem "Mehr", dem ständigen Zuwachs. Die Eventkultur zum Anheizen des Konsums ist eine seiner Arbeitsgrundlagen. So verkauft er seine Seele leichten Herzens für das Riesenspekulationsobjekt Speicherstadt an den Teufel, da er etwas, das sich nicht in Geld bewerten lässt, keinen Sinn zubilligt. Als ihm jedoch der Tod begegnet, muss er erkennen, dass alle anderen Werte nutzlos werden. Allerdings handelt sich auch der Teufel (grandios: Erik Schäffle) mit dem hartherzigen Geschäftsmann nach der einst misslungenen Transaktion in Teufelsbrück eine weitere Pleite ein: Sein Fläschchen, das er Jedermann immer wieder an seine Lippen zum Einhauchen seiner Seele hält, bleibt leer. Dessen vernachlässigter Gefühlshaushalt und seine Geldgier und Unmenschlichkeit lassen den Teufel leer ausgehen.

Der Ort der Speicherstadt wird virtuos genutzt. Seit das Kesselhaus zum Ausstellungsort avancierte, verfügt der Theaterplatz zwischen den Kontorhäusern sogar über einen ersten Rang. Und wenn sich auch noch die Sonne einmal nicht aus Gram über den Hamburger Werteverfall verzogen hat und den Himmel weinen lässt, entfaltet die Inszenierung von Michael Batz ihren ganzen, unverbrauchten Charme.

Birgit Schmalmack vom 14.7.03


zur Kritik von

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