Früchte des Zorns, Thalia

Früchte des Zorns, Thalia

Der Weg in die Hoffnungslosigkeit

Sie kommen aus der "Dustbowl" Amerikas. Dürreperioden und Missernsten haben die Pachtfarmer von ihren bewirtschafteten Länder rund um Texas vertrieben. Sie lassen sich von leuchtenden Werbeflyern nach Kalifornien ziehen. Doch die Versprechungen der reichen Obstplantagen, die den Willigen immer Arbeit und Auskommen bieten würden, bleiben leer. Lange Karawanen von mittellosen Ex-Bauern vor ihren liegen gebliebenen fahruntüchtigen Transportern säumen die Route 66 nach Kalifornien. Selbst diejenigen, die es bis an ihr Ziel schaffen, empfängt keine Willkommenskultur. Entgegen der Broschüren herrscht auch hier schon Arbeitslosigkeit und ein Verteilungskampf, in dem die Neuankömmlinge sich ganz unten einzureihen haben und den sie nur verlieren können.
Das Schicksal einer Familie auf ihrer Suche nach Verbesserung ihrer verzweifelten Lage, begleitet Johan Steinbeck in seinem Roman "Früchte des Zorns", den Luk Perceval jetzt auf die Bühne des Thalia Theaters brachte. Die Charaktere schälen sich langsam heraus: Der Pater kann nicht mehr beten. Die Mutter versucht die Hoffnung nicht aufzugeben. Der Vater hat kaum noch Energie. Der Sohn denkt immer nur an den heutigen Tag. Er will sich keine Sorgen machen. Die Tochter Rose sorgt sich um ihr Ungeborenes, dessen Vater getürmt ist. Der Onkel hat Bedenken, seiner Familie zur Last zu fallen.
Perceval stellt ein mehrsprachiges Ensemble auf die Bühne. Diese Flucht ist international und kann überall stattfinden. Parallelen zu heutigen Flüchtlingsschicksalen drängen sich auf. Er zeigt Menschen, die sich weigern die Hoffnung aufzugeben. Sie streben immer weiter, weil sie nicht mehr zurück können. Sie legen zweitausend Kilometer zurück und sind dennoch keinen Schritt vorangekommen. Sie haben eine hoffnungslose Situation verlassen und sind in einer noch aussichtsloseren angekommen.
Doch diese Umstände sieht man aber auf der Bühne nicht. Die Bilder dazu müssen in der Fantasie der Zuschauer entstehen. Auf Aktion verzichtet Perceval völlig; das Einfühlen steht im Vordergrund. Auf der Bühne ist ewiger Herbst. Während der ganzen pausenlosen zwei Stunden fallen braune Blätter vom Bühnenhimmel. Die sechs Personen kämpfen mit dem einzigen Requisit, einem riesigen Leinentuch, bis ihnen der Schweißperlen von der Stirn tropfen. Mal ist es ein nicht anspringendes Auto, mal eine Totgeburt, mal die Leiche des Großvaters, mal die ganze Last der Flucht und mal eine Zeltplane, die ihr einziger Schutz vor dem Dauerregen ist. Diese Familie, die sich aufmacht, hatte geglaubt nichts mehr zu verlieren zu haben und muss auch das letzte noch aufgeben: die Hoffnung. Drei Leichen sind auf der Flucht zu beklagen. Der Tod wird zum ständigen Begleiter.
Stimmungsvoll zeichnet Perceval die Aussichtslosigkeit der Flüchtenden nach. Mit einem kleinen Miniklavier, das die Rose mit sich schleppt, werden ein paar Töne angestimmt. Mit zarten Stimmen werden amerikanische Songs angesungen. Das ständige Warten und die Langeweile der Flucht wird auch in die Zuschauerreihen nachfühlbar. Diese Inszenierung kennt keine Entwicklung, keine Höhen und Tiefen, keine Brüche. Das ist zur Verdeutlichung der Tragik schlüssig, aber taucht die Inszenierung leider zu durchgehend in einförmiges, schleppendes, braunes Moll, um über die gesamte Dauer zu faszinieren.

Birgit Schmalmack vom 10.2.16


Zur Kritik von

nachtkritik 
Deutschlandfunk 
 

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