Trois Grandes Fugues, Berliner Festspiele

Trois Grandes Fugues

Klassische Festivaleröffnung

Die Festivaleröffnung des diesjährigen "Tanz im August" war ein Beweis für die Vielfalt künstlerischer Inspiration. Drei Choreographinnen nahmen sich dieselbe Grundlage für ihre Stücke, und zwar Beethovens “Große Fuge” aus dem Jahr 1825. Dennoch waren die Ergebnisse so unterschiedlich, dass man denken konnte, es handelte sich um immer andere Musikstücke.
Die erste Arbeit von Lucinda Childs war von analytischer, mathematischer Strenge. Sie übersetzte die klar strukturierte Musiksprache der Fuge in ebensolche Bewegungsformen. Sie benutzt dafür das klassische Ballettrepertoire aus einfachen Drehungen, kleinen Sprüngen und streng geordneten Paarformationen. Veränderungen spielten sich nur in kleinen fast unsichtbaren Variationen ab und folgen damit genau der Vorgabe der Musik. Selbst das Bühnenbild spielt mit klassischen Mustern, indem eine gemusterte Glaswand aus unterschiedlichen Richtungen bestrahlt wird und so die Schnörkel-Muster auf die Bühnenwände wirft. Die Kostüme halten sich in zarten einheitlichen hellblauen Ganzkörperanzüge sehr dezent im Hintergrund. Childs stellt sich so mit ihrer Arbeit ganz in den Dienst der Musik.
Ganz anders die beiden nächsten Choreographien. Während Childs das Aufstrebende fortwährend im Auge behielt, haben die Tänzer bei Anne Teresa de Keersmaeker wesentlich mehr Bodenhaftung. Sie springen zwar immer wieder in gebückter Haltung in die Höhe, doch sie fallen ebenso häufig auf den Boden. Sie legen sich auch schon mal an die Bühnenrampe und schauen einfach in die Luft oder ins Publikum. Sie werfen sich mit Inbrunst in ihre wechselnde Tanzformationen, die sich stets als Gemeinschaft zeigt, aus der aber jeder auch ausbrechen und neue Entwicklungen anstoßen darf. Keersmaeker lässt die sechs Männer und zwei Frauen in schwarzen Anzügen auftreten. Im Laufe des Stückes lockern sie immer weiter ihr Businessoutfit. Erst fliegt das Jackett in die Ecke, dann werden die Ärmel aufgekrempelt und dann haben einige nur noch ihre T-Shirts an. So zeigt Keersmaeker Businessleute, die sich nach getaner Arbeit nicht von Bier und Wein sondern von der Musik und dem Tanz anregen lassen, sich endlich mal locker zu machen.
Noch anders interpretiert Maguy Marin die Große Fuge. Bei ist es die Musik zum Alltagskampf vierer Frauen. Jede scheint für sich mit vielen anstrengenden Aufgaben belastet zu sein. Schwer scheinen sie zu tragen zu haben und dennoch sich nicht unterkriegen lassen zu wollen. Oft schleppen sie sich über die Bühne, dann klatschen sie, sich selbst aufmunternd, in die Hände und legen zum nächsten Spurt los. Selten finden sie in ihrer Vierergruppe zu einer Gemeinsamkeit, die für kurze Zeit Unterstützung bietet. In einer Szene wälzen sie sich auf der Bühne von einer Seite auf die anderen. Vier schlaflose Frauen. Doch dann finden sie zu neuer Kraft und springen wieder los.
Es war ein wahrlich schöner Festival-Auftakt, würdig auch eines 30-jährigen Jubiläums. Ein Aufreger war es definitiv nicht. Die politische Haltung des Festivals, die künstlerische Leiterin Virve Sutinen in ihrer Eröffnungsrede unterstrich, sollte am ersten Abend noch nicht im Vordergrund stehen sondern auch die klassischen Elemente des Tanzes gewürdigt werden.
Birgit Schmalmack vom 14.8.18


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