Reise ins Dunkel-Deutschland
An einem kalten Wintertag wartet die kleine Reisegruppe dick eingemummelt auf Niels. Sie hatten den Deutschen, den sie in Berlin kennen gelernt hatten, gebeten ihnen das wahre Deutschland zu zeigen. "Im Winter?", hatte er zweifelnd nachgefragt. Ob man das Vorhaben nicht besser auf den Sommer verschieben wolle? Nein, sie würde gerade das echte unverfälschte Deutschland interessieren. „The dark side of germany? Das Dunkel-Deutschland?“ So stellt Niels die Reiseroute zusammen. Sie führt zuerst nach Dresden. Doch statt deutscher Romantik kann Niels der Reisetruppe aus Afghanen, Syrern und Palästinensern nur Pediga zeigen. Denn sie treffen an einem Montag ein und können somit das Hotel nicht verlassen. So sitzen Karim Dahoud und Hussein Al Shatheli am Fenster und versuchen sich auf die Demo-Plakate einen Reim zu machen. „Fatima Merkel steht da“ „Ich dachte sie heißt Angela“, „Vielleicht ist Fatima ihr zweiter Vorname?“ „Ich wusste gar nicht, dass sie Muslimin ist.“ Am nächsten geht es weiter zur deutschen Stadt der Klassik Weimar. Doch auf dem Weg dahin lässt Niels den Bus in Buchenwald halten; die Gruppe soll sich auch dem dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte stellen. So viel Dunkelheit war aber einigen zu viel und sie setzten sich lieber in die Kantine. Mannheim war eine der nächsten Stationen. Hier besuchte Ayham Majid Agha die Trümmer der deutsch-amerikanischen Geisterstadt, die als Relikt aus der Zeit der Stationierung der amerikanischen Truppen noch zu besichtigen war. Erinnerungen an das zerstörte Damaskus werden wach und er choreographiert wie in seiner Heimatstadt ein Tauben-Ballett. In München besucht man die ovale Allianz-Arena ohne Spieler, wundert sich über beheizten Rasen im eiskalten Stadion, der aber selbstverständlich nicht betreten werden darf und bespricht "the german toilet-situation" mit dem sehr trockenen Toilettenpapier. Die nächsten Städte erinnern die Reisenden an die eigenen Erfahrungen: Hussein Al Shatheli erzählt von seiner an Stationen reichen Flucht aus Damaskus, bei der er viel Geld aus seinen Körperverstecken zücken musste. Maryam Abu Khaled berichtet von ihren zahlreichen erfolglosen Versuchen in Deutschland einen Liebespartner zu finden. Hamburg zeigt sich mit sonnigem Elbstrand und lässt Kenda Hmeidan an eine mögliche Wiederbegegnung mit ihrem Ex-Freund, der vor ihr nach Deutschland geflohen war, denken. Regisseurin Yael Ronen sucht in Deutschland nach Orten, in denen sich die Flüchtlingsgeschichten spiegeln lassen - jenseits der Künstlerblase Berlins, in denen das Exil-Ensemble am Maxim Gorki Theater agiert. Sie spürt Identifizierungsorte auf, die Erinnerungen wach rufen. Sie stellt die ganz dunklen Seiten Deutschlands an den Beginn, so dass später doch wieder die Flüchtlinge mit ihren Geschichten die Regie übernehmen müssen um Niels allzu pädagogischen Zeigefinger etwas entgegen zu setzen. Das hat wie immer bei Ronen viel Situationskomik. Doch der vereinnahmende Drive ihrer vorherigen Produktionen will sich nicht ganz einstellen. Der (selbst-)ironische Biss im Umgang mit Klischees trifft hier nur die eine Seite und führt nicht zum gewohnten witzigen Schlagabtausch. So erfährt man mehr über die Exilanten als über Deutschland und das ist vielleicht auch gut so; sie erzählen einfach spannendere Geschichten als der Proto-Deutsche Niels. Birgit Schmalmack vom 17.4.17
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