Der Prozess

Der Prozess
Willkürliche Gewalt
„Sie sind verhaftet, bitte folgen Sie mir unauffällig.“ Willkürlich suchen die Wächter Wilhelm und Franz aus den Zuschauern im Cafe Freistil einige heraus. Genauso willkürlich wird wenig später Franz K. in seiner Wohnung von seiner Verhaftung in Kenntnis gesetzt. Die scheinbar erstmal folgenlos bleibt. Doch bald stehen die beiden Männer wieder in K.s Tür und fordern ihn (und die Zuschauer) auf ihnen zu folgen. So geht es los durch die klaustrophobischen Gänge, Flure und Treppenhäuser des Stadtbads Steglitz. Eng, zugestellt und dreckig sind sie. Immer wieder wischt Franz K. sich den Staub und den Schweiß mit seinem weißen Taschentuch ab. Sorgsam bemüht seine wohl gepflegte Fassade nicht in Mitleidenschaft geraten zu lassen. Gutes Aussehen ist dem smarten erfolgreichen Bankprokuristen wichtig. Sie hat ihn seine gute Position in der Gesellschaft erreichen lassen. Mit Selbstbewusstsein, Redegewandtheit und sicherem Auftreten hofft er noch auch diese Herausforderung zu meistern. So klettert er im Maschinenraum gleich auf die Kanzel des Kessels und gibt seinem Untersuchungsrichter keine Gelegenheit zum Verhör. Stattdessen fordert er seine Rechte als unschuldiger Staatsbürger ein und beschwert sich über die unrechtmäßige Behandlung durch die Wächter. Immer noch hofft er auf die Rechtmäßigkeit des Systems, das ihn hierher geführt hat, und glaubt durch eine Beschwerde dieses Recht zu bekommen. Die Irrfahrt durch das Labyrinth dieses Systems geht weiter. Nach etlichen Fluren, Gängen und Treppen öffnet sich das Halbrund der ehemaligen Schwimmhalle. In dem gekachelten Blau muss K. Aufstellung auf einem kleinen Podest mit seinem Namen nehmen. Während er sich nicht von der Stelle rühren mag, knallen über ihm auf der ersten und zweiten Empore die Türen der ehemaligen Umkleidekabinen. Akten und Frauen werden von Tür zu Tür weitergereicht. Für K. herrscht hier undurchsichtiges Treiben. Scheinbar hausen hier weitere Angeklagte und warten auf ihren Prozess. Immer wieder wird K. von den Wächtern, von der Ärztin, von dem Auskunftsbeamten versichert, dass er jederzeit gehen dürfte. Doch als K. einen Versuch über das glatte Fliesenrund noch oben startet, muss er wegen übermächtigen Schwindels aufgeben. So wird er schließlich zur nächsten Station geführt. Ein kleiner kapellenartiger Raum mit dem Wandmosaik eines Frauenbildes ist das Ziel. Hier begegnet ihm der Gefängniskaplan. Seine Sache stehe schlecht. Der Mann in der Mönchskutte erzählt ihm das Gleichnis des Mannes, der geduldig auf Einlass ins Gesetz wartet und vom Türsteher stets auf später vertröstet wird. Erst als er im Sterben liegt, eröffnet ihm dieser, dass dieses Tor nur für persönlich geschaffen wurde und ab jetzt geschlossen werde.
Die allerletzte Episode erleben die Zuschauer in der medialen Projektion: K. wird von seinen Wächtern erstochen.
Die Inszenierung des Clubtheaters unter Regie von Stefan Neugebauer entfaltet seine eindrückliche Wirkung nicht zuletzt durch den Aufführungsort. Die verwirrende Vielfalt der verschlungenen Gänge lassen K.`s steigernde Aussichtslosigkeit nachfühlbar werden. Gerolamo Fancellu spielt überzeugend den smarten Businessman in seinem schicken grauen Anzug, deutet aber durch seinen italienischen Akzent auch seine Andersartigkeit an. Mit nur fünf weiteren Schauspielern (Margot Binder, Michael Hecht, Alexander Klages, Martin Langenbeck, Beatrice Murmann) werden alle übrigen Rollen abgedeckt. Neugebauer schafft es in seiner stark gekürzten Spielfassung des Romans viele wichtige Aspekte aufschimmern zu lassen. Er schildert die Angst, den Glauben, die Erotik, den Gehorsam, die Bürokratie und die scheinbar freiwillig gewählte Abhängigkeit. Er transferiert er den Roman dabei aus seiner surrealen Abstraktion in ein Stück reale Welt. Denn das Ambiente des Stadtbades und der Hauptdarsteller Fancellu zeigen im Gegensatz zu Kafkas Text und seinen bisherigen Verfilmungen nicht nur Düsternis sondern auch Ordnung, kühle Sauberkeit und Klarheit, die K.s Hoffnungsschimmern stetig Nahrung geben und die Fallhöhe am Schluss erhöhen.
Birgit Schmalmack vom 8.8.10


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