Rückblick auf Hamburger Theaterfestival

Rückblick auf das Hamburger Theaterfestival 2010
Große Namen in Hamburg
Festivalleiter Nicolaus Besch betonte es bei jeder Gelegenheit: Privates Sponsoring wie für das Hamburger Theaterfestival könne nie die Subventionierung deutscher Staatstheater ersetzen. Ganz im Gegenteil: Nur subventionierte Staatstheaterproduktionen hätten die Hamburger Sponsoren eingeladen. Ohne sie gäbe es kein deutsches Festival. Angesichts der Tendenzen in der Hamburger Kulturpolitik ein nicht unwichtiges Statement.
Zehn große Produktionen mit namhaften Künstlern hat Besch dieses Jahr – das zweite des Hamburger Theaterfestivals – in die Hansestadt geholt. Hamburger Größen traf das Publikum auf der Bühne wieder: die Regisseure Kriegenburg und Schlingensief, Schauspieler Wölbern, Meyerhoff, Haberlandt, Paulmann und Moss, aber auch überregional bekannte Darsteller wie Wuttke, Matthes, Melles, Sukowa und Minichmayer. Immer gab es zugkräftige Namen auf der Besetzungsliste. So war für volle Häuser gesorgt – trotz der relativ hohen Eintrittspreise. Die großen (subventionierten) Häuser in Hamburg wurden bespielt: Thalia, Schauspielhaus, St. Pauli-Theater und Kampnagel.
Es gab hohe Qualität, die niemanden verschreckte. Es gab Spannung ohne bemühte Provokationen. Es gab Anregendes, das nicht für Aufregung sorgen musste.


By Arno Declair
Herausragend war die Eröffnungsinszenierung: „Der Prozess“ in der Regie von Andreas Kriegenburg an seiner alten Wirkungsstätte im Thalia Theater. Ein überdimensioniertes Auge blickt die Zuschauer von der Bühne aus an. Die Iris ist eine Scheibe, die sich drehen und in die Horizontale stellen kann. Die Bürger hängen wie kleine Insekten an den Pflöcken, die das Gesetz ihnen willkürlich setzt. Immer wieder stellt sich ihr Lebens-Untergrund in die Schräglage und sie geraten ins Rutschen. Denn das Auge des Gesetzes wacht über jeden. Kriegenburg zeigte sich mit dieser Arbeit von seiner besten Seite. Er gibt der präzisen Sprache Kafkas über dreieinhalb Stunden ausreichend Raum zur Entfaltung. Das prägnante Bühnenbild (auch Kriegenburg) sorgte für eindrückliche Metaphern, die die aussichtslose Lage K.’s verdeutlichten.
Ein weiteres Highlight war „Phädra“ vom Wiener Burgtheater. Ein helles Lichtband umschließt den Bühneneingang. Die in seiner Mitte befestigte drehbare Wand schiebt Phädra (eine sich verströmende Sunnyi Melles) auf die Bühne. Sie liebt, leidet und will ihrem Leben ein Ende setzen. Spannend wie einen Thriller hat Matthias Hartmann das Antikendrama von Racine umgesetzt. Mit klarer Ästhetik und Gefühlsanalyse hat er das Herz-Schmerz-Drama entschlackt und auf heutige Sehgewohnheiten zugeschnitten. Schwarz ist die Drehwand auf der einen Seite, weiß auf der anderen. Das Glück der Einen ist das Unglück der Anderen. Es verschwindet so schnell, wie es auftauchte. Die Spiele um Liebe und Macht fordern Tote. Wohl dem, der dann immer einen Gott findet, den er dafür verantwortlich machen kann.

by Georg Soulek
„Mea Culpa“ sorgte für nie gekanntes Gedränge im größten Sprechtheater Deutschlands: Das Schauspielhaus war bis in die Treppenaufgänge gefüllt. Die Krankheit nicht verschweigen. Ihr stattdessen viele Gesichter geben. Der Angst auf der Bühne öffentlich begegnen. Die Trauer in Töne fließen lassen. Dem Verlust Stimmen leihen. Das war die Art des Künstlers Schlingensief mit seiner Krebserkrankung umzugehen und sie zu verarbeiten. „Geh in den Krebs hinein, anstatt dass er in dich hineingeht!“, war sein Motto. Das macht dann auch Joachim Meyerhoff als sein Bühnenvertreter in „Mea Culpa“: Er steigt einfach in den aufklappbaren Pappmache-Krebs hinein. Um ein paar Rauchzeichen später wieder auszusteigen und lauthals: „Das ist doch Quatsch!“ zu verkünden.
Mea Culpa ist als Ready-Make-Oper angekündigt: eine gekonnte Mixtur aus Wagner, Bach, Gospel, Schlager, Nietzsche, Immendorf und Schlingensief. Seine eigene Parzival -Inszenierung in Bayreuth lässt ebenso grüßen wie sein Operndorf-Projekt in Afrika. Auf der Drehbühne steht ein bunt zusammen gewürfeltes Bühnendorf mit viel weißer Projektionsfläche fürs Schlingensief-Filmmaterial. "Mea Culpa" verbindet lebenshungrigen Trotz mit ironisierender Leichtigkeit, tiefe Trauer mit distanziertem Witz, scharfe Gesellschaftskritik mit berührendem Selbstmitleid, provozierende Kunst mit banalem Alltag.
Birgit Schmalmack vom 1.11.10


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