Faust –Wuttke http://www.nachtkritik.de/index.php?view=article&catid=50&id=1189%3Agretchens-faust-martin-wuttke-beschwoert-goethe-und-einar-schleef&tmpl=component&print=1&layout=default&page=&option=com_content&Itemid=40 http://www.tagesspiegel.de/kultur/der-pudel-kanns-nicht-lassen/1198856.html;jsessionid=53F285FE113452428C3DF017576A3854?view=print http://www.morgenpost.de/printarchiv/kultur/article170947/Tolldreistes_Entertainment.html
Wuttke als Faust – das ist ein kapriziöser, tänzelnder Künstler mit der blonden Andy-Wharhol-Perücke auf dem Kopf, der in all seinem Tun den Rausch sucht. Ob er sich nun in die Wissenschaft vertieft, sich mit Philosophien beschäftigt, sich an der Kunst ergötzt, will er den Rausch der Erkenntnis erhaschen. Nun bringen es die Bücher nicht mehr. Er schlägt auf die Folianten, die ihm keine Wahrheit mehr geben, dass es nur so staubt. Er sucht nach härteren Drogen. Die Magie wird bemüht. Die Phiole mit der brauen Flüssigkeit muss her. Kokain wird geschnupft, Heroin geraucht. Er blickt dem Totenschädel ins Gesicht. Aber noch lieber blickt er in die großen Spiegel zu beiden Seiten der Bühne. Er posiert immer wieder davor, zupft an seinem Pullover und stolziert mit seinen überspitzen, überlangen Stiefeln auf und ab. Im Spiegel erkennt er die zweite Seite in sich, den Mephisto. Eine ältere Dame setzt sich an die lange hölzerne Tafel, die in der Mitte zwischen den beiden Tribünen steht. Die „Übermutter“ ist allgegenwärtig. Es klopft. Auch das erledigt selbstredend Wuttke mit einem Pochen an seinen Kopf selbst. Doch statt des erwarteten Famulus, seinem Schüler, kommen neun junge Mädchen im klackernden Gleichschritt – alle im kurzen Schwarzen, mit Servierschürzchen, hochgesteckten Zöpfchen und hochhackigen Schuhen. Wuttke sieht Gretchen nicht nur doppelt, sondern gleich neunfach. Zu viel des Rausches? Nur der Pudel darf ein echter Pudel sein. Unfreiwillig komisch, wie dieser sich den Dressieransinnen seines momentanen Herrchens widersetzt. Beim Wuttke-Faust taucht das weibliche Element in Überzahl auf. Nachdem sie ihrer dienstbaren Rolle gerecht geworden sind, ihn und Publikum bewirtet haben, streifen sie Schürze, Schuhe und Zöpfe ab und übernehmen sie den Redeanteil. Wuttke legt derweil seinen Kopf ermattet auf die Tafel und nimmt später stumm und ergeben auf dem Schoß der Mutter Platz. Individualität ist den Grete-Frauen allerdings nicht gestattet. Uniform treten sie im Neunerchor auf. Das müssen sie allerdings auch, denn gegen Wuttkes Präsenz wäre sonst wohl schnell nicht anzukommen. Die Wuttke-Show zeigt einen wahnwitzigen, zugespitzten, selbstvergessenen Faust-Extrakt, der den Rausch des Theaters auch ohne Koks-Prise nachfühlbar werden lässt. Birgit Schmalmack vom 25.10.10
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