Große Freiheit Nr

Große Freiheit Nr.7
Keine Spur von Seefahrerromantik: Nur große, funktionelle Lagergerüste stehen auf der leeren, schwarzen Bühne. Bilder des Hamburger Hafens sind nur noch eine undeutliche Projektion auf den weißen Kartons, die unter zwei der Gerüste gestapelt sind. Wie versprengte Einzelwesen strolchen die Personen im Dunkeln zwischen den Gerüststangen umher. Sie sind gezwungen in Bewegung zu bleiben, da sich die Drehbühne beständig dreht. Einzig Hannes (Matthias Leja) bleibt außen vor: Er sitzt stoisch auf seinem Barhocker vor dem Mikro: der singende Seemann ohne Schiff.
Seine Beziehung zu seiner Chefin, der Barbesitzerin der Großen Freiheit Nr. 7, Anita (Gabriela Maria Schmeide) ist nur noch Gewohnheit, genauso wie sein Job an Land. Als Jadranka (Catherine Seifert), die Freundin seines verstorbenen Bruders in die Stadt kommt, um ihm ein paar seiner Sachen zu übergeben, schöpft er Hoffnung auf einen Neuanfang. Doch die junge, hübsche Frau entscheidet sich lieber für den gleichaltrigen Zollbeamten Georg (Rafael Stachowiak). Hannes bleibt dort zurück, wo er bereits am Anfang saß: auf seinem Barhocker in der Großen Freiheit. Ohne Schiff ohne Liebe und murmelt: Tja Anita...
Luk Perseval enttäuschte wohl einige der Premieregäste in ihrer Reeperbahnreminiszenzen: Er erhielt im Gegensatz zu den Schauspielern neben Beifall auch laute Buhs. Zu kräftig entzauberte für den Geschmack einiger den vermeintlichen Hamburg Mythos. Sogar die Lieder, die auch bei der Neuinszenierung des legendären Käutner-Filmes mit Hans Albers als Hannes nicht fehlen dürfen, kommen hier eher beiläufig daher. So wie in einer Bar oder einer Großstadt selten nur die Konzentration auf einen Reiz möglich ist, zeigt Perseval sie häufig als Sprechgesang unterlegt von dem Gerede und Geräuschen der anderen. Stattdessen gibt er Anita ihre Stimme zurück. Während Hannes melancholisch und resigniert auf der Stelle bleibt, fliegt Anitas Stimme mit dem Lied „Liebe kleine Nachtigall“ in den Bühnenhimmel empor.
Was Perseval aber in einigen Figuren liebevoll karikierend herausarbeitet, ist der Hamburger Tonfall. Das gelingt hervorragend bei Peter Maertens, der den Hamburger Slang bringen darf. Thomas Niehaus überzeichnet als Jens Petersen die norddeutsche Bedächtigkeit zur fast schon debilen Lahmheit. Julian Greis tarnt die Gefährlichkeit seines Kokaindealers Karl Fiete Brinkmanns hinter schüchternen Stotteranfällen. Matthias Leja zeigt Hannes dagegen als abgeklärten, unsentimentalen Haudegen, der seine Gefühle unter seiner dicken Lederjacke und der Kapitänsmütze so erfolgreich verbirgt, dass die Wahl von Jadranka nur verständlich ist.
Als verführerische Schlangenfrau tanzt die Barfrau Margot (Franziska Hartmann) effektvoll in Stretchkleid und grünen High Heels über die Gerüste, solange bis sie für ihren Freund einen kleinen Liebesdienst erbringt und die Schmugglerware überbringt: Danach ist sie gezeichnet von der allgegenwärtigen männlichen Ausnutzung auf dem Kiez.
Perseval nutzt seine Inszenierung zur Versachlichung des Hamburger Hafens: Hannes darf Jadranka in seiner äußerst romantischen Art in seinem Liebeswerben die neuesten Fakten über die Technik und die Wirtschaft der heutigen Umschlagmetropole mitteilen. Auch dieses Zahlenwerk hätte ein Hans Albers wohl kaum über die Lippen gebracht. Zudem darf ein wenig Sozialkritik nicht fehlen: Die heutigen Matrosen hätten keine Zeit für einen Landgang mehr: Die kurzen Ent- und Beladungszeiten hätten ihnen auch diesen letzten Freiraum noch genommen. Wenn man Menschen mit einer Seemannsmütze in Hamburg herumspazieren sehen würde, wären das wohl eher Leute mit einem Hang zur Nostalgie – so wie Hannes auf der Bühne bei Perseval.
Birgit Schmalmack vom 26.4.10


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