Leonce und Lena Getrennte Welten Der König Peter (Peter Jordan) ein zaghafter alter Mann mit wirrer Haarkrone, stolpert unsicher die breite Treppe herunter. „Der Mensch muss denken, aber mein Volk denkt nicht.“ Auf den Treppenstufen, die er herabstolpert liegt sein Volk. Lauter schlafende Obdachlose in bunten Schlafsäcken, die nur hin und wieder den Kopf herausstrecken. Die Hand des Königs zittert beständig. Er redet stockend und wirr. Lange dauert seine Rede. So wirkt sein Ansinnen an sein Volk absurd: Mit Hauruck-Parolen will er ihn den Mut zu frischen Taten eintrichtern. Dabei brauchte er selbst einen Knopf im Schnupftuch, um sich überhaupt an seine Schutzbefohlenen zu erinnern. Auf der Treppe zeigt sich wenig später sein Sohn, Prinz Leonce (Ole Lagerpusch). Der Luxus-Müßiggänger in Dolce/Gabana-Unterhosen und Goldjäckchen stakst in seinen Röhrenjeans über die Bühne und leidet wortreich unter seiner unsäglichen Langeweile. Er lässt seine Launen ungefiltert an seinem Kammerherrn Valerio (Andreas Döhler) und seiner Gespielin Rosetta (Olivia Gräser) aus. Der eine soll wie ein Hund für ihn laufen, die andere bis zum Umfallen für ihn tanzen. Valerio bemüht sich für seinen Chef den Narren zu spielen, um seinen Herrn bei Laune zu halten und taktisch klug seine Stellung zu festigen. Als der König seinem Sohn dessen anstehende Verheiratung mit Prinzessin Lena (Katrin Wiechmann) bekannt gibt, flieht Leonce mit Valerio nach Italien. Die Parallelität der Ereignisse will es, dass sich Lena ebenfalls mit ihrer Hofdame (Victoria Trauttmansdorffs) auf die Flucht begibt. Zufällig trifft man sich in Italien und stellt eine Seelenverwandtschaft fest, die in reinste Harmonie zu münden scheint. Doch wo diese nur in der grenzenlosen Langeweile beider begründet liegt, ahnt man, dass sie wenig Bestand haben wird. Doch der König ist glücklich, als er erfährt dass sich alles nach seinem Willen gefügt hat und verkündet sogleich die Machtübergabe an seinen Sohn. So liegen ab jetzt die Geschicke des Landes nicht mehr in den Händen eines unsicheren Möchtegern-Intellektuellen sondern in den eines gelangweilten Luxusgeschöpfes, das auf dem Höhepunkt seiner Verliebtheit nur an den gemeinsamen Selbstmord mit seiner Geliebten denkt. Wahrscheinlich sein hellster Moment, denn Leonce hatte recht: So glücklich wie in diesem Moment werden die Beiden nie wieder sein. Danach kann nur die Enttäuschung folgen. Demiter Gotscheff hat die handlungsarme Komödie von Büchner nicht mit künstlicher Aktion aufgebläht. Aber sehr wohl mit manierierter Künstlichkeit der Personen. Jede Figur hatte ihre besondere Zeichnung. Leonce ist der in seiner Langeweile gefährlich werdende Egoist. Lena die verwöhnte, einsame Lebensgierige. Valerio der unterhaltsame und strategische Sprücheklopfer. Der König der eingebildete und leicht zu verunsichernde Pseudo-Politiker. Die Zofe die durchsetzungsfähige, logisch handelnde und emotionslose Strippenzieherin aus dem Hintergrund. Gotscheff hat die Grundidee seiner Inszenierung stringent verfolgt. Die unüberbrückbare Trennung von Herrschern und Beherrschten wird schnell deutlich. Zwei Welten, die sich Abhängigkeit voneinander befinden und dennoch keine Berührungspunkte haben. Gotscheff spart nicht mit Aktualisierungen des Textes, die nahe legen, dass es um das Verhältnis zwischen Wählern und Gewählten nicht besser bestellt ist. Das Bühnenbild von Katrin Brack spricht mit prägnanter Symbolik. Doch sowenig Veränderung letzteres zeigte, so wenig Entwicklung war den Personen vergönnt. So blieb die große Faszination trotz beeindruckender Einzelleistungen des Ensembles aus. Birgit Schmalmack vom 16.9.08
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