Ein Chor irrt sich gewaltig Sally (Sophie Rois) mag dieses Mal auf der Praterbühne gegen einen ganzen Chor antreten: Ihre Stimme ist dennoch stets unüberhörbar und ihr Auftritt unübersehbar - mögen die farbenprächtigen, afrikanisch gemusterten Rokoko-Kleider der Chormädchen auch Rois schwarzes, hochgeschlossenes Anstandskleid auszustechen versuchen. Madame Rois ist immer Adressatin und Dirigentin des Chores in einer Person. Pollesch hat für seinen Abend im Prater eine krude Mischung arrangiert. Aus den Diskursen von Dietmar Daths, Agamben, Groys und Zizek lieh er sich Teile ihrer Thesen aus und legte sie einigen Personen aus der Filmkomödie „Ein Elefant irrt sich gewaltig“ von Yves Robert in den Mund. Auf Geschlechterrollen oder Handlungsverlauf nimmt Pollesch dabei keine Rücksicht. Dazu werden als Gesprächsfetzenersatz immer wieder im Playback-Verfahren Zeilen von französischen Schlagern eingespielt. „Parole, parole“ oder „Voulez vou couchez avec moi?“ sprechen an den entsprechenden Stellen für sich und sorgen für Lacher. Madame Rois ist also verlassen worden. Und fragt sich nun: Warum muss man gleich mit den Türen knallen, wenn einmal der endgültige Genuss eines Körpers, den man liebt, verweigert wurde. Ist denn die Sexualität eine Insel, auf die man flüchtet muss, nach der Vertreibung aus dem ersehnten Polymorphismus, der wir uns eigentlich erhoffen und erwünschen. Dass ihr Verflossener in Rachegelüsten gleich alle Möbel mitgenommen hat, vereinfacht die Frage des Bühnenbildes: Hinter dem wunderschön geblümten Vorhang gibt es nur einen leeren Raum und ein paar Umzugskartons. Doch es gibt Sophie Rois und das ist mehr als bühnenfüllend. Rois liefert sich dieses Mal ihren versuchten Theoriediskurs mit einem Chor. Das dämmt den Pollesch bekannten Einsatz von Bandwurmsätzen ein. Der Chor benötigt die Souffleuse, die wieder mit auf der Bühne ist, kein einziges Mal. Die Verquickung von Sexualität und Kapitalismus ist das Thema. In keinem würde ernsthafte Repression praktiziert, sonst würde die Rebellion doch wohl über ein wenig Kritik hinausgehen. Wie lange sollen wir noch die Abwesenheit des Kommunismus ertragen, fragt sich die bekennende Sozialistin Sally, die aber kein Mitleid kennt. Somit sind die Thesen und zugleich ihre relativierenden Gegenargumente beisammen und die Verwirrung über den Inhalt von Theater perfekt. Doch wenn Rois zum Schluss mit all ihren Chormädchen den ChanChan tanzt, tobt der Saal eh vor Begeisterung. Werden die Denkanstöße mit genügend Boulevard garniert, flutschen sie halt besser, wenn auch die Botschaft wohlmöglich über dem Amüsement abhanden kommt. Pollesch hat man schon mal wortgewaltiger erlebt. Das Bühnenbild sah ebenfalls schon mal interessanter aus. Dagegen durfte man sich dieses Mal an den extravaganten, anti-proletarischen Kostümen satt sehen, die die postulierten Kapitalismus-Kritik auch optisch konterkarieren. Birgit Schmalmack vom 22.4.09
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