My fair lady Intelligente Unterhaltung Zu Beginn ist auf der Bühne ein Spiegelbild des Zuschauerraumes zu sehen: Eine rote Klappsesselreihe ist auf der Bühne montiert. Fein gekleidete Herrschaften nehmen Platz, stehen auf um später Gekommene durch zu lassen, tuscheln, wechseln noch mal die Plätze. Genau diese Szenen haben sich gerade auch im tatsächlichen Zuschauerraum des Admiralspalastes abgespielt. Als die Zuschauer auf der Bühne später nach Hause gehen wollen, regnet es. Der Wasservorhang fällt direkt vor die fein beschuhten Füße der elitären Gesellschaft. Der Griff zum Regenschirm und der Ruf nach dem Taxi erfolgen fast gleichzeitig, während kleine Londoner Miniaturtaxis im Linksverkehr zu ihren Füßen auf der Bühne entlang surren. Viele kleine Einfälle wie diese machen den Charme Peter Lunds Inszenierung des bekannten Musicals „My fair Lady“ aus. Doch er vergisst darüber nie die übergreifenden Themen, die dieses Stück Musik- und Theatergeschichte bereithält. Viele Treppenstufen trennen die feine Theatergesellschaft von den Müllmännern auf der Straße vor der schrägen Stadt shilouette. Viele Treppenstufen müsste man auch erklimmen, um den Abstand zwischen dem armen Blumenmädchen und dem vornehmen Professor zu überwinden. Als Professor Higgins vor dem Theater auf die zeternde Eliza trifft, hat er spontan eine Idee: Könnte man aus dieser „Beleidigung der Muttersprache“ in sechs Monaten eine sich fein artikulierende Herzogin machen? In Zusammenarbeit mit seinem Sprachforschungskollegen Colonel Pickering wird daraus eine Wette. Eliza zieht bei den Beiden ein und bekommt Sprach- und Benimmunterricht. Doch auch nachdem sie nicht mehr den Gossenjargon sondern wie eine feine Dame spricht, sind die Unterschiede keineswegs überwunden. Higgins behandelt Eliza weiterhin wie ein lästiges Insekt und nicht wie ein mittlerweile durchaus ansehnliches, menschliches Wesen mit eigener Persönlichkeit. Denn zu dem Umstand ihrer falschen Herkunft und Erziehung kommt noch erschwerend hinzu, dass sie eine Frau ist. Und mit denen tut sich der unabhängige, arrogante Macho-Higgins, der seine Freiheit auf keinen Fall aufgeben will, schwer. Als Eliza noch die unwissende Straßenverkäuferin war, akzeptierte sie diese Rollenverteilung fast klaglos. Doch nun entthront sie ihren „Gottvater“ schnell. Sie wirft ihm nicht nur die Pantoffeln an den Kopf, sondern fängt an für ihre eigenen Vorstellungen zu kämpfen und geht. Higgins bleibt auch nicht ohne neue Erkenntnisse: Er muss zu seinem eigenen Erstaunen Gefühle der Sehnsucht nach diesem Geschöpf bei sich feststellen, die ihm bisher gänzlich unbekannt waren. Doch sein Rückholmanöver nach altem Macho-Muster scheitert; Eliza ist zu einer Persönlichkeit geworden, die sich so ein Verhalten nicht mehr bieten lässt. Dieser Umstand begeistert Higgins nur umso mehr: So ein Weib könnte sogar ihm als Frauenverächter gefallen, vielleicht auch gerade deshalb, weil er immer noch glauben möchte, dass er dieses Wesen selber kreiert hat. Der Entwicklung der Personen widmet Regisseur Peter Lund viel Aufmerksamkeit. Daniel Morgenroth mimt perfekt den aristrokatischen Lebemann, der hinter seiner Arroganz auch seine Ängste vor Beziehungen verbirgt, die seine Ungebundenheit einschränken könnten. Franziska Forster ist als schnodderige Göre ebenso überzeugend wie als unsichere Neudame und als emanzipierte Powerfrau. Udo Kroschwald zeigt einen charmanten Proleten, dem man auch eigene Vorteilsnahme nicht übel nehmen kann. Das einfallsreiche und liebevolle Bühnenbild (Jürgen Kirner) hält immer wieder nette, kleine Überraschungen bereit. So sitzen die ganz in weiß gekleideten Damen beim Pferderennen in Escort nicht auf Stühlen sondern auf Schafen, während sie brav ihre seit Jahrzehnten konservierte Unterhaltung führen. Für Phonetik-Professor Higgins Arbeitszimmer wird nicht nur der weiße Materialschrank von der Decke herunter gelassen sondern auch ein riesiges Ohr, das mit den anatomischen Bezeichnungen versehen ist. Als Higgins nach Elizas Weggang in sein einsames Arbeitszimmer zurückkehrt, ist es auf Miniaturgröße geschrumpft und er kann sich selbst aus der Distanz als kleine Puppe auf dem Sofa abhängen betrachten. Peter Lund belässt das Musical in seinem Originalkontext. Es spielt auch bei ihm in London, obwohl Eliza und ihr Vater unverkennbar berlinern. Er schafft es viele aktuelle Themen des Musicals mit anklingen zu lassen ohne die Aktualisierung zu übertreiben: Man denkt an die Pisa-Ergebnisse, wenn Higgins sich über die mangelnde Bildung der Kinder im Lande beschwert. Wenn Higgins behauptet, dass nicht die Herkunft sondern die Beherrschung der Sprache die Aufstiegchancen bestimme, knüpft dies direkt an den Wunsch nach Sprachförderung von Kindern aus sozial schwachen Familien an. Die Rollendefinition von Mann und Frau hat auch im 21. Jahrhundert nichts an ihrer Brisanz verloren, was nicht nur Bücher wie die von Eva Hermann unter Beweis stellen. Und in Zeiten, in der sich die neuerdings wieder in Diskussion geratene Unterschicht gegen die Mittelschicht abgrenzt, scheint die Durchlässigkeit der Schichtzugehörigkeit doch eher für den Abstieg zu gelten. Man merkt Peter Lund seine große Erfahrung mit dem Metier des Musiktheaters an, die er in seiner Arbeit an der Neuköllner Oper gewonnen hat. Er vergisst in keinem Moment seinen Auftrag für die Zuschauer des Musical-Palastes an der Friedrichstraße Unterhaltung zu bieten, die den großen Bühnensaal füllen kann. Diesen Auftrag erfüllt er mit scheinbar leichter Hand - er übererfüllt ihn sogar. Seine Inszenierung ist Unterhaltung, die man mit gutem Gewissen konsumieren kann. Sie ist nie vordergründig an Effekten interessiert, sondern benutzt diese um auf Inhalte zu verweisen, die leider nichts an ihrer Aktualität verloren haben. Birgit Schmalmack vom 7.8.08
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