Das Telefonbuch

Das Telefonbuch
Omina in uno

„Omnia in uno“, so schallt es mit päpstlichem Duktus aus dem Dunkel. „Alles in einem“, der Werbespruch des Hamburger Telefonbuches, ist auf dem halbtransparenten Bühnenvorhang zu lesen. Es folgt die Nummerdurchsage für die Notdienste, Telefonseelsorge, Rettungsdienst, Auskunft, alles im lateinischen Rezitativ. Der Vorhang hebt sich. Eine blecherne Raumschiffkapsel mit einer weit geöffneten Kuppel wird sichtbar. Aus einem Fenster überblickt der Dirigent (Jürgen Uter) das Geschehen. Er begleitet die musikalische Entdeckertour durch das hanseatische Telefonbuch mit pastoralen Gesten, Geschichten und Weisheiten. Nicht immer zollen ihm die sechs konzertanten Telefonisten, die unten an ihren kleinen Tischchen agieren, den nötigen Respekt: Als er einmal um Ruhe bittet, verstehen sie es, in der Beschränktheit ihres Telefonbuchwissens gefangen, nur als Aufforderung, die Telefonnummer der Hamburger zu verlesen, die „Ruhe“ heißen. Doch Uter lässt nicht davon ab, die philosophische Seite des Buches zu beleuchten. Die Sänger jedoch sehen ihre Aufgabe eher im gewissenhaften Rezitieren, Vorlesen und Vorsingen des Telefonbuches.
Nicht die Aufführungsdauer war begrenzt sondern auch die Zahl der Zuschauer, denn die Inszenierung fand auf der Bühne des großen Hauses statt. Dort war die Raumkapsel vor der Zuschauertribüne gelandet. Der Pianist spielte folgerichtig an einer Instrumententafel, die neben den Klaviertasten auch Knöpfe für die verschiedensten Geräusche enthielt.
Das erste Telefonbuch wurde auch das Buch der 99 Narren genannt, denn 1841 galten die ersten Telefonbesitzer als Leute die sich für viel Geld ein Produkt aus Amerika hatten aufschwatzen lassen. Je nach Perspektive mag das auch noch für die heutigen Telefonbesitzer und –benutzer gelten, denen die fortwährende Erreichbarkeit über alles geht.
Regisseur Philip Tiedemann lotet mit großem Geschick die überaus komischen Momente des trockenen Lese- und Spielstoffes eines Telfonbuches aus. Jeder Buchstabe wird zum Anlass genommen auch seine stimmlichen Qualitäten zu ergründen. Da rollen die sechs mit stoischen Mimen das „R“. Da zischen sie summend das „Sch“. Da nutzen sie das „L“ zu einem Ausflug in die chinesische Musik. Das entdecken sie, dass das „Ü“ überproportional in türkischer Hand ist. Das „M“ wird zu einem Wettstreit der Müllers gegen die Meiers ausgenutzt, wobei letztere durch die Vielzahl ihrer Schreibweisen eindeutig für mehr Aufmerksamkeit sorgen können. Die sechs Mimen machen den Abend zu einem überraschenden, reinen Vergnügen. Im Stil der Commedian Harmonists gehen sie mit einer gelungenen Mischung aus Charme, Selbstironie und Ernsthaftigkeit ans Werk. Das Premierenpublikum war begeistert und feierte die kleine aber feine Aufführung mit lang anhaltendem Applaus.
Birgit Schmalmack vom 4.10.06




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