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Melissa kriegt alles, DT
Against the record, HAU 1
Manifesto, Harake Dance company
Salon 89, Sophiensäle
Gazino Berlin, Heimathafen
Bridge Markland + Gäste: queens + kings, AHA
Gleichheit ist Unfreiheit
Eine neue, bessere Welt erschaffen, in der das Geld keine Rolle mehr spielt und damit jeder reich ist? Im Görlitzer Park ist diese neue Welt Utopia nun entstanden. Dank der Open-Air-Theatergruppe „Shakespeare im Park“ darf sie jeder kostenfrei besichtigen und miterleben, welche Erfahrungen ihre Neubürger so machen.
Die Bürger haben genug von Armut, Hunger und Not. Sie haben den Luxus des Adels am Hofe und des Klerus ständig vor Augen und die Ungerechtigkeit satt. Eine Revolution muss her! Die redegewaltige Suzie Bundtcake (Cordula Hanns) weiß auch die Zweifler zu überzeugen. Der Aufbruch kann beginnen. So zieht auch der Tross derZuschauermassen dem Revolutionsteam zur großen Rutsche am Beginn des Görlitzer Parks hinterher. Hier muss Henry VIII. (Paul Marino) durch Thomas More (Peter Priegann) überzeugt werden, dass der Bürgeraufstand nicht einfach niederzuschlagen sondern als Chance zu nutzen sei. More hat die Ideen zu einem neuen Staat schon ausgefeilt: Ein „Utopia“ der idealen Gesellschaft soll entstehen. Er rollt seine Folienrolle mit den neuen Staatszielen aus. Doch die Rolle ist unbeschriftet. Der Kontrakt mit dem Volk entsteht nur in Mores Kopf. Dennoch: Das Königspaar stimmt zu. Das Land Utopia kann betreten werden. Über der Brücke zum Görlitzer Park steht schon das Staatsschild, dessen Schriftzug aus Kinder-Spielzeug geformt ist.
Als erstes gilt es sich jeden Besitztums zu entledigen. Die prunkvollen Gewänder aus Stoffen des Maybachufer-Marktes und Second-Handklamotten werden abgelegt und machen billigen, nichts verschleiernden Plastikkostümen Platz. Die Lust und der Spaß der Freiheit darf ungehindert ausgekostet werden. Auf der großen Wiese gibt man sich den zahlreichen Sinnesfreuden, die bisher verboten waren, hin. Hier wird Wasserpfeife geraucht, getanzt, geschlemmt und geliebt. Auch der König weiß aus seinen Verlusten neuen Gewinn zu schlagen: Aus der Torte entsteigt die neue Geliebte des Königs - gespielt vom glatzköpfigen Sebastian Witt mit Weihnachtskugelbrüsten.
Doch schon die nächsten Stationen im Park zeigen, dass dieses neue Leben auf Dauer weniger Spaß bereithält. Die verordnete Gleichförmigkeit verbietet jede Individualität. Denn wenn alle das gleiche essen, arbeiten und anziehen, bleibt die Anregung für den Geist auf der Strecke. In der eingezäunten Sandkiste träumen die Exrevolutionäre von den Berliner Biergärten und Clubs, die in greifbarer Nähe liegen.
More schwingt sich immer mehr zum ideologischen Fundamentalisten auf, der alles Denken seinen vermeintlichen Idealen unterordnen will. Jede freie Meinungsäußerung versucht er durch Gewalt zu unterbinden. Der Reifenschaukelplatz im Park wird zur Folterkammer. Die Delinquenten werden in die Mitte geschubst und von allen Seiten von den schwingenden Autoreifen getroffen. Doch bei Mores Regime ist die nächste Revolte vorprogrammiert. Zum Schluss hat sich der Kreis wieder geschlossen und die Theatertruppe ist am Anfangspunkt wieder angelangt. Die Utopie ist gescheitert, der einstige Herrscher Henry VIII. hat wieder die Macht zurückerobert. Sowohl More als auch Suzie werden durch einen gezielten Wurf auf die Rutsche hingerichtet.
„Shakespeare im Park“ hat die zwei eher unbekannten Stücke Shakespeares “The History of King Henry VIIIth” und “The Book of Sir Thomas More” mit Auszügen aus Mores Buch “Utopia” und eigenen Texten zu einem fulmianten, höchst aktuellen Gedankenspiel über alternative Lebenskonzepte verwoben. Queen Katherine (Dina-Maureen Hellwig) formuliert wohl nicht nur ihre eigene Wunschvorstellung, bevor sie desillusioniert über More und ihren Ex-Mann den Platz verlässt: Sie wünscht sich eine bunte Gesellschaft, in der jeder seine Individualität und Kreativität ausleben und damit seinen Lebensunterhalt bestreiten dürfe. Das ist ein Konzept, das hervorragend zum derzeitigen Lebensgefühl der Berliner in Kreuzberg und zur unkomplizierten, internationalen Zuschauerschar zu passen scheint – ideologiefrei und offen für jeden. Diese zweisprachige Aufführung auf deutsch und englisch dürfte sich zum Sommerhit in Berlin eignen, gerne auch zum mehrmaligen Anschauen zu empfehlen!
Birgit Schmalmack vom 30.7.12
Aufführungen
29. Juli, 2., 4., 5., 8., 10., 12., 16., 18. + 19. August 2012 – Eintritt frei
(jeweils 19 Uhr, sonntags 16 Uhr)
Görlitzer Park, Berlin.
Treffpunkt: Lohmühlenstr. / Ecke Jordanstr.
http://www.shakespeareimparkberlin.org
Abbildung: Utopia - by shakespeare im park berlin
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