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Weich keiner Strafe aus
Das Leben ist grau und eng. Es beschränkt sich auf einen schmalen Streifen vor einer grauen Wand. Für Mendel Singers (Bernd Moss) Familie besteht es in Russland nur aus Gottesfürchtigkeit, Tradition und Armut. Mutter Deborah (Almut Zilcher) kommt aus dem Meckern nicht mehr heraus. Als dann als viertes Kind auch noch der behinderte Menuchim (Alexander Khuon) geboren wird, vergrößert sich das Unglück nur noch.
Die drei größeren Kinder stehen auf der schmalen Rampe und schildern ihr Leben unter diesen Bedingungen. In ihren unförmigen, unvorteilhaften gestreiften Stricksachen und Hochwasserhosen ist ihre Sonderrolle weithin sichtbar. Mit Wasserflaschen schlagen sie auf den stummen behinderten Nachzögling ein, der ihnen jetzt auch noch die sonst stets sichere Aufmerksamkeit der Mutter stiehlt. Jonas (Edgar Eckert) sucht den Ausweg im Militärdienst. Mirjam (Lisa Hrdina) poussiert mit den Kosaken und Schemarjah (Camill Jammal) wandert nach Amerika aus. Das Ehepaar bleibt nur mit dem stummen Kleinen zurück.
Doch eines Tages platzt ein dicker, weißroter Mann (Edgar Eckert) zur Tür herein. In einem Fantasie-Texanisch bringt er Nachrichten von Schemarjah. Sie sollen zu ihm nach Amerika kommen. Plötzlich tun sich völlig neue Perspektiven auf: Gibt es ein Leben außerhalb der grauen jüdisch-russischen Welt? Die Wand ist zurückgefahren, die Bühne hat sich geöffnet. Es ist Gestaltungsraum vorhanden. Selbst die Mutter lässt sich überreden. Mit neuen bunten voluminösen Kleidern ausstaffiert, finden sie sich in ihr neues Leben in dem großen schönen hellen Amerika ein. Doch nicht Mendel. Für einen Mendel Singer ist hier kein Platz. Amerika ist jung, gesund und erfolgreich. Nur noch ein kläglicher Rest von Mendel Singer ist übrig. Amerika hat ihn zerbrochen.
Dann bricht die Grausamkeit des Gottes, dem Mendel bisher immer in Ehrfurcht gedient hat, über die Familie herein. Der Krieg ist in Europa ausgebrochen. Der Soldat Jonas und der Neuamerikaner Schemarjah werden eingezogen. Beide kommen nicht wieder. Die Mutter stirbt an gebrochenem Herzen und Miriam wird verrückt.
Mendel steht nun ganz alleine vor den Trümmern seines Lebens. Er zündet ein Feuer an. Er will mehr als nur sich und die Wohnung verbrennen: Er will den ungerechten Gott vernichten, an den er nicht mehr glauben kann.
Ausgerechnet seine Kinder müssen ihn an die Geschichte Hiobs erinnern: Sollten die Schicksalsschläge vielleicht auch für ihn eine Prüfung sein? Doch Mendel zweifelt immer noch. Da tritt ein Besucher in seine Wohnung: sein Sohn Menuchim, den er in Russland zurückgelassen hat, als gesunder erfolgreicher Musiker.
Regisseurin Anne Lenk stellt die blumenreiche ausdrucksstarke Sprache von Joseph Roth in den Mittelpunkt ihrer Inszenierung seines Romans. Sie lässt das Stück aus dem Mündern der Personen erzählen, meist in der dritten Person. Sie sprechen den Text direkt ins Publikum. Es gelingt dem tollen Ensemble hervorragend die atmosphärisch dichten Innenpersepektiven der Personen auch in dieser kargen Form zu vermitteln. Mit kleinen Interaktionen, mit winzigen Gesten, mit wenigen Spielszenen gelingt es ihnen das Leid, die Sinn- und Glückssuche zu schildern. Der bewusste Setzung des starken Kontrast zwischen dem Grau Russlands und der Farbigkeit Amerikas erscheint zunächst wie ein allzu plakatives Klischee. Doch es bebildert nur konsequent die Hoffnungen der Glücksucher, die aus ihrem Grau aufgebrochen sind. Umso größer ist für sie die Enttäuschung, als all ihr neu gefundenes Glück im Krieg untergeht.
Ein toller Schauspielerabend, der die Poesie des Romans voll zur Geltung bringt.
Birgit Schmalmack vom 21.10.16
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