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Die Enttäuschungen des Lebens
Die preisüberschüttete und viel gerühmte Schriftstellerin Natalie Oppenheim (Hannelore Hoger) gilt als publikumsscheu und unnahbar. Ausgerechnet den kleinen Provinzort Vilan-en-Volène hat sie sich für eine ihrer seltenen Lesungen ausgesucht. Ein gefundenes Fressen für die ehrgeizige Journalistin Rosanna (Tatja Seibt), die hartnäckig ihrem Verständnis von investigativem Journalismus nachgeht. Immer wieder bohrt sie bei ihrer Befragung in der Mehrzweckhalle nach den Parallelen zwischen den Ich-Personen in den Romanen und Natalies Biographie. Zwischen den Stühlen hängt der Veranstalter Roland (Oliver Urbanski), der einerseits die Schriftstellerin über alle Maßen bewundert und andererseits seinem lokalen Publikum bei den Literatursamstagen etwas Spektakuläres bieten will.
Nachdem die Öffentlichkeit nach Hause gegangen ist, lockern ein paar Cocktails die Selbstkontrollfunktionen. Der großspurige, joviale Bürgermeister (Volker Lechtenbrink) mit einem großen Vorrat an Selbstüberschätzung und Redebedarf ist hinzu gekommen und lockt die anderen aus der Reserve. Roland muss auf dem herumstehenden Piano den Song „Natalie“ spielen, den alle zusammen mit Inbrunst grölen und dazu eine Polonaise aufs Bühnenparkett legen.
Wer Kimmigs Inszenierung von Yasmina Rezas "Ihre Version des Spiels" am Deutschen Theater in Berlin gesehen hat, meint nun im St. Pauli Theater ein anderes Stück zu sehen. Keine total überspannte Künstlerin, die sich in unerklärliche, hysterische Ausbrüche hineinsteigert, sieht man in Hamburg. Hannelore Hoger ist kein kapriziöses Persönchen, sondern eine gestandene, zur Selbstironie fähige Frau. Regisseur Ulrich Waller zeigt Menschen, die zwischen Selbstbild, Eigendarstellung und Fremdwahrnehmung hin- und herwabern. Opperheimer würde so gerne auf verwandte Seelen treffen. Der Bürgermeister gerne weitreichende politische Reputation und Macht genießen. Die Journalistin zeichnet ein Bild von sich als internationale Literaturexpertin, die durch ihre Begegnungen mit den interessanten und angesagten Schriftstellern der Welt ihr eigenes Image aufpolieren will. Der Büchereileiter des Provinznestes kompensiert seine Unbedeutenheit mit dem Schreiben kleiner Alltagslyrik. Glück und Zufriedenheit sucht man hier bei allen vergeblich, egal ob Provinz oder global high society.
Vielleicht ist die Realität ja tatsächlich so enttäuschend, dass es dringend der Literatur bedarf, um die eigene Version des Spiels zu erfinden, wie Natalie Opperheim es immer wieder betont.
Den Zuschauern im St. Pauli Theater war ebenfalls ein wenig Enttäuschung anzumerken. Ihre Erwartungen an ein weiteres spritziges Stück der Erfolgsautorin Reza waren größtenteils nicht erfüllt worden. Über weite Strecken gleicht das Stück einer Lesung. Die mageren Enthüllungen und Exaltiertheiten in der Schlussszene reichten nicht, um Begeisterung in den Schussapplaus zu mischen. Wer sich allerdings für feinsinnige Charakterzeichnungen einer Künstlerin und den Nutznießern in ihrem Umfeld, für hintergründige Spiele zwischen realem Leben und fiktionaler Umdeutung und intelligente, philosophische Bon mots interessierte, wurde nicht enttäuscht.
Birgit Schmalmack vom 10.3.13
Abbildung: Ihre Version des Spiels - Foto von Jim Rakete
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