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Antigone ist eine junge Frau, die aufbegehrt. Trotz angedrohter Todesstrafe stellt sie sich gegen den Willen des Königs. Sie protestiert gegen die herrschende Meinung und tritt für ihre Überzeugungen ein. Sie will ihrem Bruder Polineices eine Grabstätte geben, die ihm der Herrscher Kreon verwehrt.
Regisseur Branko Simic erkannte die Parallelen zu seinem Heimatland Bosnien. Auch die Leute von „Missing persons“ arbeiten seit Jahren daran, die Gebeine der Toten in den Massengräbern zu identifizieren, damit die Angehörigen Gewissheit haben und ihre Toten beerdigen können. In seinem Antigone-Projekt schickt er seine bosnische und deutsche Schauspielerinnen Ana Francevic und Jasmin Music auf die autobiographische Spurensuche: Was hat der Antigone-Stoff mit ihrem Leben zu tun? Wie wichtig ist das Aufbegehren und das Einstehen für Ideale in ihrer Generation? Wie sehr bestimmen frühere Kriegs- und Gewalterfahrungen ihre heutigen Einstellungen? Wie stellt man sich der Verarbeitung der Vergangenheit?
Die Haltung der Bosnierin Ana ist pragmatisch und klar: Ihre Generation will nach den Wirren des Krieges endlich das Leben genießen. Politische Ideale sind ihnen fremd. Der Kapitalismus ist die einzige Macht, die sie verstehen und anerkennen können. Jasmin aus Dortmund dagegen plädiert für die jugendliche Kraft der Empörung. Sie will fest an die Werte der Demokratie glauben. Ana kann bei so viel Naivität nur entgegnen: „Du bist süß.“ Wer nichts für seine offene Meinungsäußerung riskieren muss, kann leicht für Ideale aufstehen.
Erst kurz vor Ende erzählt Jasmin(a), dass sie genau weiß, wovon Ana redet: Auch sie ist in Bosnien geboren. Ihr Vater ist einer der missing persons, deren letzte Spur in ein serbisches Konzentrationslager führte.
Von Video eingespielte Textpassagen aus der Antigone des Sophokles stellen den Bezugsrahmen her, zu dem sich Ana und Jasmina positionieren. Bosnische Rocksongs und deutsche Friedensschlager liefern die atmosphärische Basis für die Aufschüttung von Grabhügeln im Laufe des Stückes.
Schon auf dem Live Art Festival im Mai 2011 hatte Simic eine erste Version von „Wir-Antigone“ vorgelegt, in der deutsche und bosnische Schauspielstudenten mitwirkten. Damals wurde deutlich, dass den Bosniern im Team die Identifikation sichtlich leichter fiel. Während sich die Deutschen in ihren kuschelweichen Konsumschutzkokon des Alltags in einem Land zurückziehen können, das Kriegshandlungen nur aus dem Fernsehen kennt, war auch für die Generation der Bosnier, die den Krieg nicht direkt miterlebt hatte, die Vergangenheit in jeder ihrer Familien stets präsent. Für das diesjährige Krassfestival hatte Simic „Wir-Antigone#2“ auf zwei Personen konzentriert. Da beide über bosnische Wurzeln verfügen, konnte sich der Fokus auf den Antigone-Stoff erfreulich verdichten.
Birgit Schmalmack vom 19.12.12.
Abbildung: Wir-Antigone#2 - Foto von Oliver Paul
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