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Allgemein:
Melissa kriegt alles, DT
Against the record, HAU 1
Manifesto, Harake Dance company
Salon 89, Sophiensäle
Gazino Berlin, Heimathafen
Bridge Markland + Gäste: queens + kings, AHA
Entführung mit offenen Augen
Sphärische Musik und wabernde Rauchwolken empfangen die Besucher. In der leeren Halle stehen nur ein paar Reste von Zivilisation: ein paar provisorische Hütten, ein paar rauchende qualmende Steinhügel, einige wie mit Spinnweben umwobene Rohre. Statt der Zuschauer sitzen neun Kinder auf der Tribüne und scheinen sich über die Besucher in einer nur ihnen verständlichen Fantasiesprache zu unterhalten.
Die Kinder sind auf sich alleine gestellt. Sie versuchen Feuer zu machen, sie bringen Steinhaufen zum Überschäumen, sie erproben rituelle Tänze und filmen sich dabei gegenseitig. Sie sind die Herrscher über dieses Fantasiereich. Sie nehmen zu den Zuschauern Kontakt auf. Steine werden in Hände gedrückt und durch die Reihen weitergereicht. Die Kinder entführen Erwachsene in ihre Sinneswelten. Dort spielen Kaninchen, Steine, Gemeinschaft Freundschaft ebenso eine Rolle wie PC-Spielfiguren, Youtube-Stars oder Comicstrips. Erwachsene haben hier nur als Besucher Zutritt. Sie werden geführt und müssen sich der Führung durch die Kinder überlassen. Mit großer Ernsthaftigkeit nehmen die Kinder diese Aufgabe wahr.
Wie können die Sinne stimuliert werden? Macht es einen Unterschied, ob du mit einem Tablet oder mit der Hand eines Kindes gestreichelt wirst? Die Erwachsenen versinken absurderweise während eine Theateraufführung in das handflächengroße Präsentationsformat eines Tablets, um einen Filmzusammenschnitt anzusehen, in dem Eichhörnchen, Rehe und die Performerkinder vorkommen. Es geht nicht nur um die Erkundung natürlicher Erlebnisräume sondern auch virtueller. Denn Kinder machen in der Bewertung der unterschiedlichen Sinneseindrücke keine Unterschiede. Für sie existiert alles nebeneinander. Darin folgt ihnen Regisseurin Barbara Schmidt-Rohr und verlässt damit bewusst den erwachsenen Blickwinkel.
Als ein Tänzerpaar die Treppe beschreitet, greifen die Kinder sofort zu ihren Tablets und filmen die Szene. Das direkte Erleben steht gleichberechtigt neben dem aufgezeichneten. Der Gedanke an eine pädagogische Bewertung erscheint bei "Eyes wide open" auf einmal völlig abwegig. Das Ziel der Entführung ist erfüllt.
Birgit Schmalmack vom 17.6.16
Abbildung: Eyes wide open - Foto: Jens Hasenberg