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Schutzfolien um das Leben
Ein Neuanfang soll her. Schon nach zwei Ehejahren machen sich die Abnutzungserscheinungen und Enttäuschungen im Projekt "Ehe" bei Eduard (Stephan Kampwirth) und Charlotte (Karoline Eichhorn) bemerkbar. Auch dies war eine Flucht nach vorne. Charlotte hatte gerade die Beziehung zu Michael (Benjamin Sadler) beendet, weil dieser das gemeinsame Kind nicht wollte. Sie stürzte sich in die Ehe mit Eduard, der sich wiederum gerade von Anna getrennt hatte.
Ist die Wand tragend? Für den offenen Blick in den Garten, in dem Eduard sich große Gartenpartys erträumt, müsste diese Wand im Wohnzimmer eigentlich weichen. Ob ihre Ehe den Stabilitätsgesetzen noch standhält, werden Eduard und Charlotte in der Versuchsanordnung auf der Bühne herausfinden. Statt der Wohnung in der Bleibtreuestraße residieren Charlotte und Eduard nun in einem großzügigen Haus am Stadtrand. In der bisherigen Wohnung will Eduard seine Praxis einrichten. Doch schon über die Begrifflichkeiten können sie sich nicht einigen: Was Eduard als "Villa" bezeichnet, ist für Charlotte schlicht ein "Haus". Seine Praxis als Schönheitschirurg nennt sie nur den "Schönheitssalon". Vielleicht stimmt seine These doch: Die Welt sei zu beweglich für etwas so Unbewegliches wie die Ehe?
Ihr Haus bleibt leer. Weder ist es mit Kindergeschrei erfüllt, noch sind bisher die Umzugskartons und Möbel angekommen. Statt eines hoffnungsvollen Neubeginn breitet sich Leere aus. Doch Eduard hat vorgesorgt: Er eröffnet seiner Frau im letzten Moment, dass er seinen Studienkollegen Michael eingeladen hat. Charlotte lädt in Gegenwehr die zweiundzwanzigjährige Nachbarstochter Lilly (Emma Bading ) in ein weiteres der Gästezimmer ein.
Statt sich ihrem eigenen Grundkonflikt zu stellen, verlagern sie nun ihre Probleme auf die entstehenden Außenbeziehungen. Charlotte fühlt sich an alte Zeiten mit Michael erinnert und Eduard flirtet mit Lilly. Doch was zur Ablenkung dienen sollte, feuert die Konflikte nur noch an. Was anfangen mit diesem Leben? Sein Leben riskieren wie Michael, der für Ärzte ohne Grenzen nach Afghanistan gegangen ist? Oder den Wohlhabenden das Alter wegoperieren, damit sie der Endlichkeit ihres Lebens nicht ins Auge blicken müssen?
Regisseur Carlo Ljubek begegnet der Klischeefalle dieses Lebens unter der Wohlstands-Schutzfolie, die Löcher bekommt, sehr geschickt. Seine Bühne ist wie eine Versuchsanordnung gestaltet. Das große, weiße, leere Podest dient als Begegnungsfläche für die wechselnden Paarkonstellationen. Sind sie gerade nicht involviert, nehmen sie auf den hinteren Treppenstufen Platz.
Hier ist auch das dritte Paar geparkt: Lillys Vater (Stephan Schad ) tauscht nach dem frühen Tod seiner ersten Frau (und Lillys Mutter) seine Gefährtinnen jedes Jahr aus. Jetzt wohnt gerade die russischstämmige Eleonora in Lillys Elternhaus. Bis zu ihrem Auftritt im letzten Drittel dürfen sie musikalische Untermalung auf der Geige und Gitarre beisteuern.
Ljubek zeigt also klar: Einfache Realitätsabbildung findet hier nicht statt. Zusätzlich hat er das Dreistundenstück auf fast die Hälfte zusammen gekürzt. So knallen die Sätze von Autor Moritz Rinke noch stärker aufeinander. und der Zuschauer wird mehr gefordert. Die Lücken werden mitgespielt. Die Sätze werfen gnadenlose Schlaglichter auf die Leerstellen des Lebens. Die Schutzfolie liegt zum Schluss in Fetzen gerissen da.
Birgit Schmalmack vom 12.2.19
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