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Wir ohne uns

Wir ohne uns, Hamburger Botschaft


Verschieben der Realitäten

„Ich bin 16.“ „Und ich bin 32.“ Die eine erfindet sich eine Biographie als frühreife Teenagerin und der andere eine als cooler Privatdetektiv. „Erzählst du mir auch die Wahrheit?“, so fragen sie sich immer wieder. Denn sie können sich nicht sehen; ihre Kommunikation findet in rein virtuellen Welten statt.
Intensiv ist ihre Beziehung. Sie erzählen sich gegenseitig Dinge, die sie so bisher keinem offenbart haben. Immer wieder geraten sie an einen Punkt, an dem einer von ihnen die Verbindung kappt, weil der andere ihm zu dicht kommt. Die Ungewissheit über die tatsächlichen Hintergründe des anderen macht zugleich den Reiz und die Begrenzung ihrer Kommunikation aus.
Die Zuschauer sind klar im Vorteil: Sie können beide Schauspieler auf der kleinen Bühne inmitten der Hamburger Botschaft sehen und den Wahrheitsgehalt des Erzählten überprüfen. Sie wissen, dass Sandra Maria Schöner nicht mehr 16 und Jonathan Müller noch nicht 32 Jahre alt sind. Doch warum sie die Realitäten verschieben wollen, wissen auch sie nicht. Die Auflösung liefert der Text von Nina Haratischwili erst ganz zum Schluss. Da haben die Beiden ihr Leuchtpodest schon verlassen, haben sich ihre Jacken übergezogen und sind raus auf die Straße in die reale Welt aufgebrochen.
Atmosphärisch dicht, ohne Regie-Schnörkel lässt Regisseurin Anne Bader den spannenden, intelligenten Text mit ihren zwei hervorragenden Schauspielern auf die Zuschauer wirken. Sandra Maria Schöner spielt die Frau auf der Suche nach der Wahrheit wunderbar differenziert und unpathetisch. Jonathan Müller versteckte die Schüchternheit und Beziehungsunfähigkeit des Jungen nicht hinter einer vermeintlichen Coolness. Ein intensives Stück mit überraschendem Ende, das die Realitäten und Wahrnehmungen wohltuend verrückte und hinterfragte.
Birgit Schmalmack vom 15.11.12

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