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Kampf zwischen Mensch und Natur
Eine Baustelle ist ein Kampfplatz zwischen Mensch und Natur. Der Mensch versucht die Natur nach seinem Willen zu formen. Wie der Mensch sich dabei überschätzt und überhebt, wie er auf Kosten von Natur und Menschenleben seinen Gestaltungswillen durchsetzen will, zeigt Karin Beier in der Zusammenstellung dreier Texte Jelineks zu einem Theaterabend, der jetzt in Hamburg anlässlich der Eröffnung des Hamburger Theaterfestivals gezeigt wurde.
„Das Werk“ schildert den Bau eines Pumpkraftwerkes in Kärnten. Vielen Zwangsarbeitern kostete der Bau das Leben. Auf der Bühne arbeiten die Ingenieure an Holzschreibtischen ihre Technikbauwerke aus. Assistentinnen in kleinem Schwarzen stöckeln zwischendrin und hinterfragen die Arbeit der Technikverliebten Männer. Wasserflaschen symbolisieren das Element noch in kleiner, dosierbarer Form. Lustige Fontänen und Sprühnebel können damit erzeugt werden. Bis der Männerchor mit seinem Stampfen und Stakkato den ausufernden Text von Jelinek in eine Sprachoper verwandelt, ist viel Text den Abend hinuntergeflossen.
Nach der Pause dreht Beier die Spannungsschraube zum Glück weiter an. Zunächst stürmt ein Karnevalsdreigestirn die Bühne und berichtet „Im Bus“ vom plötzlichen Einbruch eines Busses in den Münchener Asphalt. Beier hat Recht: In der Ingenieurshochburg Deutschland kann es sich dabei nur um einen Karnevalsscherz handeln.
Doch die nächste reale Berechnungsschlappe der Technikerkunst lässt nicht lange auf sich warten: Beim U-Bahn-Bau in der Kölner Altstadt hatte ein Wassereinbruch das Kölner Stadtarchiv zum Einsturz gebracht und nicht nur unwiederbringliche Dokumente vernichtet, sondern auch zwei Jungen unter sich begraben. Im „Sturz“ hat Beier die Textflut Jelinek konsequenterweise von den Schauspielern abgekoppelt. Aus Radios, Laptops und Lautsprechern bricht er scheinbar aus dem Nirgendwo über die Darsteller hernieder. Denn Verantwortung übernehmen wird hier keiner. Die Büromenschen schieben unverdrossen ihre Aktenorderregale vor sich her und versuchen die Ohren vor den verkündeten Wahrheiten zu verschließen. Doch das Versenken in Mülleimern, das Verstopfen, das Abstellen hilft nichts. Die Stimmen bahnen sich ihren Weg an die Öffentlichkeit. Wer konnte nur daran schuld sein, dass es zu dem Einsturz gekommen ist? Die Büromenschen hatten alle Vorschriften treusorgend berücksichtigt. Das Wasser musste schuld sein! Das Wasser hat die Erde fortgespült, die den Untergrund für die Häuser bildete.
Die angesprochene „liebe Erde“ wird hier von der erdverschmierten, unbekleideten Kathrin Wehlisch dargestellt, die koboldhaft über die Bühne zwischen den Aktenmenschen hüpft und sich zu retten versucht. Doch vergeblich. Sie stürzt in eine Wassergrube. Als sich schließlich das Wasser mit ihr vereinigt, wird das zu einem lustvollen Tanz mit dem Urelement Wasser, das die anderen Frauen und Männer fast neidvoll miterleben. Doch das Element ist nicht zu stoppen: Eine Fontäne schießt aus dem Wasserloch empor. Das heldenhafte Abdichten hilft sowenig wie die Schlitzmauern auf der Kölner Baustelle: Das Wasser ergießt sich über die Bühne und die Verwaltungsmenschen glitschen auf ihm zu Boden.
In Hamburg begibt sich Beier mit ihrer Jelinek-Interpretation in einer harte Konkurrenzsituation: Das Niveau, das Nicolas Stemann mit seinen verspielten, ironischen und unterhaltsamen Interpretationen vorlegt, ist schwer zu toppen. Während „Das Werk“ noch (dem Thema angemessen) noch von getragener Ernsthaftigkeit geprägt war, fand Beier „Im Bus“ und beim „Sturz“ zu dem spielerischen Umgang, der die mäandernden Textkreise Jelineks über längere Zeitstrecken erst erträglich macht.
Restlos überzeugt durch dieses furiose Ende von Beiers Inszenierung wurden die Hamburger Zuschauer zu Beifallsstürmen hingerissen, die die Regisseurin durchaus auch als ein herzliches Willkommen für ihre Intendanz ab dem Jahre 2013/14 im Schauspielhaus auffassen darf.
Birgit Schmalmack vom 3.10.11
Abbildung: Überwältigung durch die Elemente - Copyright: Klaus Lefebvre
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