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Privattheatertage

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Benefiz-Jeder rettet einen Afrikaner


Waschmaschine für das schlechte Gewissen
Jedes Menschenleben ist gleich viel wert. Die grundsätzliche Zustimmung ist schnell Konsens, doch warum werde dann beim Hungertod einen deutschen Kindes neben den Eltern auch der Jungendamtmitarbeiter verklagt, während der eines afrikanisches Kindes als naturgegeben hingenommen werde?
Fünf Menschen sitzen auf Wasserkanistern, um etwas dagegen zu tun. Sie proben für einen Wohltätigkeitsabend, der Gelder für einen Brunnen in Kenia eintreiben soll. Doch während sie ihre Ideen und Vorstellungen für den Abend austauschen, geraten sie schnell in ein Knäuel aus persönlichen, ideologischen und moralischen Widersprüchen.
Der eine gibt offen zu, dass ihm oft der Cocktail für 10 Euro wichtiger wäre als eine Spende für Afrika. Auf jeden Fall will er eine gutmenschelnde Betroffenheitskulturveranstaltung vermeiden. Die andere ist so von ihrem, über alle Zweifel erhabenen Projekt überzeugt, dass ihr die Peinlichkeit ihrer selbst gebastelten Palme erst durch die anderen schmerzhaft deutlich gemacht werden muss.
Die dritte stellt sich selbst so gerne in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, dass die Sache dabei fast in den Hintergrund gerät. Der vierte ist mehr zum Spaß am gemeinsamen Tun dabei und bricht die Angelegenheit gerne auf die praktischen Ansätze herunter.
Der fünfte, ein „Bibelfuzzi“, scheut sich nicht vor flammenden Worten wie Nächstenliebe und Erbarmen.
Der Text der Theatermacherin Ingrid Lausund ist zum Schreien komisch und legt gleichzeitig den Finger in aktuelle Wunden. Er bricht gesellschaftspolitische Probleme gekonnt auf die ganz alltägliche Ebene herunter und sorgt beim Zuschauer immer wieder für Schrecksekunden der Selbsterkenntnis. So auch an diesem Gastspiel unter der Regie von Tanja Weidner vom Wolfgang Borchert Theater aus Münster, der von peinlich berührter Stille über herzhaftem Lachen bis zu betretenen Schlucken alles bereit hielt. So konnte zum Schluss kaum jemand achtlos an den aufgestellten Spenden-Kanistern vorbei gehen. Denn: Schon 51% sind genug um am Schluss einen Schein in die Box zu tun, so hatte der Pragmatiker am Ende erklärt.
Birgit Schmalmack vom 11.6.13

Abbildung: Benefiz oder Jeder rettet einen Afrikaner - by Ingo Kannenbäumer

Eine Sommernacht



Die Not der Thirtysomethings

Helena hat Notstand. Ihr Date hat kurzfristig abgesagt, doch sie will diese Nacht auf keinen Fall alleine verbringen. So fragt sie in der Bar einfach Bob, ob er sich nicht mit ihr hemmungslos besaufen möchte. Er hält das für ein Angebot zu wildem, hemmungslosem Sex und sagt ja. Beide sollen Recht behalten. Dass Helena ihren One-Night-Stand unerwartet am nächsten Tag wiedertrifft, wird nicht die einzige Überraschung an diesem ungewöhnlichen Wochenende bleiben. Obwohl beide nicht unterschiedlicher sein könnten – sie erfolgreiche Anwältin und er unbeständiger Kleinganove - stellen sie etliche Gemeinsamkeiten fest: Beide glauben nicht an die Liebe, beide wollen sich auf keine Fall binden und beide sind gerade 35 geworden. Letzteres macht sie empfänglich für melancholische Sentimentalitäten und spontane Ausbrüche, zumal ihre jeweiligen, bisherigen Lebensbilanzen ziemlich negativ ausfallen.
Autor David Grieg hat eine verrückte, abstruse und klischeehafte Liebesgeschichte geschrieben. Dass sie dennoch nicht banal wirkt, liegt einerseits an den vielen ironischen Kommentaren, die er im Namen seiner Protagonisten gleich mit einstreut, und andererseits an der Umsetzung durch Regisseur Folke Braband, die den Ironieanteil noch geschickt verstärkt. Mit seinen zwei Schauspielern hat er perfekte Darsteller für die Rollen gefunden. Tatortkommissar Oliver Mommsen wirkt alles andere als halbseiden und unsympathisch und Tanja Wedhorn schafft blitzschnell den Wechsel zwischen tuffer Businessfrau und anlehnungsbedürftiger Thirtysomething. Wenn das Happyend endlich erreicht ist, leuchtet auf der Projektionswand hinter dem endlich vereinten Liebespaar ein kitschiges Plakat von küssendem Pärchen vor rotem Sonnenuntergang auf. Als Beiden sich noch vor ihrem Kuss umdrehen und ihre Position schnell dem Hollywoodvorbild gemäß korrigieren, macht Braband mit leichter Hand deutlich, dass er ihrer Romantikaufwallung eine Harmoniefrist von vielleicht zwei Wochen prognostiziert. Ein sehr unterhaltsamer Abend, der en passant Lebensfragen stellt ohne je tiefgründelnd daher zu kommen.
Birgit Schmalmack vom 10.6.13

Abbildung: Eine Sommernacht - by Thomas Grünholz

Der Parasit, Kabale und Liebe



Herausfordernde Klassiker
Moderne Klassiker, so heißt eine Sparte der Privattheatertage. Auch diese arrivierten Stücke halten ihre Herausforderungen für die Regisseure bereit. Zwar kann man sich bei ihnen auf die hohe Qualität der Sprache verlassen, doch der meist bekannte Inhalt verlangt nach entschlossenem eigenem Zugriff der Regie. Ein witziger Bühnenbildeinfall allein ist dafür nicht ausreichend.
Beim Gastspiel der „Färbe“ aus Singen liegen auf der Bühne zwei riesige gelbe Plastik-Eier. Sie entpuppen sich als zwei postmoderne aufklappbare Plastiksessel, die sich quietschend öffnen. Hier empfängt die Ministerin.
Aalglatt hat sich Selicour nach oben geschleimt. Nun ist er als höchster Diplomat im Lande und als Ehemann der Präsidententochter im Gespräch. Doch als erste Amtshandlung hat er den Falschen entlassen: Der brave Sekretär La Roche kennt Selicour noch aus Schultagen und weiß nun kein anderes Ziel mehr als den Blender und Wichtigtuer zu enttarnen. Das wird ihm auch gelingen. Doch „Gerechtigkeit gibt es nur auf der Bühne“, meint die Präsidentin zum Schluss, aber zum Glück für ein Happy-End wenigstens dort. Schillers Komödienklassiker „Der Parasit“ legt die leider zeitlosen Strategien von Emporkömmlingen gnadenlos bloß. Woran liegt es, dass die Inszenierung dennoch nicht recht zu fesseln weiß?
Bei "Kabale und Liebe" vom prinz regent theater aus Bochum ist der Bühnenboden mit Tausenden von Blütenblättern bedeckt. Denn die ganze Welt ist ein Blütenmeer für Ferdinand und Luise. Rosarot erscheint sie den frisch Verliebten. Doch bald schon ziehen dunkle Wolken auf, denn unüberwindliche Hindernisse trennen die beiden: Ferdinand ist der Sohn des Präsidenten und Luise die Tochter des bürgerlichen Kapellmeisters Miller. Ränkespiele der Macht drohen beide zu zerbrechen. Regisseurin Sibylle Broll-Pape versucht mit spielerischer Leichtigkeit aus dem historischen Stoff um Standesunterschiede, Ehre und Keuschheit eine heutige universelle Liebestragödie zu machen.
Doch beide Inszenierungen sind nur für diejenigen im Publikum richtig spannend, die den Handlungsverlauf noch nicht kannten. Für all anderen boten sie wenig Überraschendes. Zu wenig differenziert waren die meisten Rollen angelegt, zu einspurig wurde die Bühnendekoration genutzt und zu statisch und wiederholend war die Bewegungschoreographie der Personen. So bleiben die Schauspieler im Kopf, die innerhalb dieser engen Grenzen ihrem Spiel eine zweite Ebene zu geben verstanden: Katharina Noppeney in der Rolle der Ministerin und Helge Salnikau als Ferdinand.
Birgit Schmalmack vom 12.6.13

Abbildung: Der Parasit - by Bruno Bührer

Die Saison der Krabben



Die Sehnsucht erkannt zu werden

Am zweitletzten Tag liefen die Privattheatertage zu Höchstformen auf. Sie zeigten, dass auch in kleinen Privattheatern hohe Kunst geboten werden kann.
Einmal im Jahr gibt es auf Kuba ein Naturspektakel zu sehen. Die Krabben sind unterwegs, um ins Meer zu gelangen, wo sie ihre Eier ablegen können. Dafür müssen sie Straßen überqueren und sich dabei in Lebensgefahr begeben. Auch Asiye ist auf der Suche nach einem Sehnsuchtsort, der für sie Heimkehr und Heimat bedeuten könnte. Doch sie ist gefangen in Mariendorf, einem kleinbürgerlichen Vorort Berlins. Hier lebt sie mit ihrem Mann und seiner Schwester plus Ehemann einen Traum von emporgekommener türkischer Familie-Idylle. An nichts mangelt es hier scheinbar: Den Flachbildschirm gibt es ebenso wie Sofa, Einbauschrank und Superstaubsauger – alles natürlich gleich in zweifacher Ausfertigung. Einzig Asiye passt nicht in dieses deutsch-türkische (Alb-)-Traumklischee. So flieht sie in ihrer Fantasie in die Rolle der erfolgreichen, selbstbewussten Schauspielerin. Für die Familie sehr fest: Sie ist krank und muss therapiert werden.
Das Emanzipationsdrama vom Ballhaus Naunynstraße war eindeutig das künstlerische Highlight der Privattheatertage. Zwischen die Säulen Fabrik war die Laufstegbühne direkt einpasst worden. So kamen die Zuschauer Asiye sehr nahe und wussten doch jederzeit, dass hier auf mehreren Ebenen Rollen gespielt wurden. Die wunderbare Schauspielerin Sesede Terziyan zeigt virtuos das Wechselbad der Selbst- und Fremdinszenierungen. Erst als sie ausbricht, gibt es Hoffnung auf ein Heimkommen. Durch die Mischung von anatolischem Volksliedgut, Slogans der TV-Werbung, türkischer Soap und westlichen Pseudofreiheiten ergab sich ein vielschichtiges Drama, das nicht nur in Berlin sondern auch in Hamburg erzählt werden muss.
Birgit Schmalmack vom 15.6.13

Abbildung: Saison der Krabben - by Ute Langkafel

Richard III Bremen



Langes Mini-Drama

Das Anfangsbild ist vielversprechend. Wie Gewürm liegen alle Personen über- und untereinander auf der Bühne. Aus dem Nebel hebt sich mal eine Hand, mal ein Bein. So verstrickt sind auch alle Handlungsträger in Shakespeares Drama „Richard III“. Alle haben Blut vergossen, um an die Macht zu gelangen oder ihre Stellung zu sichern. So ist Richard nur der Spiegel einer Gesellschaft und nicht ihr auszumerzender Fehler.
Dieser Richard ist bei der Bremer Shakespeare Company, die im Theater Harburg im Rahmen der Privattheatertage ein Gastspiel gab, ein gerissener Spieler. Er manipuliert die Menschen mit Lust und Leidenschaft. Ihm gelten die Gefühle der anderen nichts, er benutzt die Menschen nach seinem Belieben, solange sie ihm nützlich erscheinen. Doch das machen Königin Elizabeth, Buckingham, Lady Anne und Königin Margaret genauso. Einzig der alte kranke König Edward versuchte noch andere Maßstäbe zu setzen, doch sein System der Toleranz hatte sich überlebt.
Die Shakespeare Company unter der Regie von Ricarda Beilharz arbeitet assoziativ. Ständig sind die Schauspieler auf der abschüssigen, vermoderten Bühne in Bewegung. Ständig steigen sie aus der Geschichte aus, kommentieren das Geschehen, steuern ironische Bemerkungen bei. Sie spielen mit dem Material, lassen sich zu eigenen Erinnerungen und Bemerkungen anregen. Das schafft einerseits einen wohltuenden Beobachterabstand zu dem blutrünstigen Geschehen, erzeugt aber andererseits ständig distanzierende Brüche, die den Zuschauer nie ganz in die Geschichte einsteigen lassen. Volkstheater wollte Shakespeare machen, diesen Auftrag nehmen die Bremer ernst: Wenn sie zur Auflockerung das Publikum im Kanon „Der Hahn ist tot“ anstimmen lassen, ist Stefan Rap näher als Bildungstheater. Sie nehmen in Kauf, dass die Unterhaltung zu deutlich im Vordergrund steht und dabei die deutlichen Aussagen verwässert. Nur nie zu ernst werden, es könnte das Publikum verschrecken, scheint ihre Devise zu sein. So nehmen sie in Kauf, dass das Drama um den skrupellosen Machterhalt bis zu einer Unterhaltungsshow verkleinert wird.
Birgit Schmalmack vom 16.6.13

Abbildung: Richard III - by Menke

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