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Learning Feminism from Rwanda, Sophiensäle



Noch viel zu lernen!

Das Bild ist ungewohnt. Ein Schwarzer (Wesley Ruzibiza) steht am Pult der Vereinten Nationen und hält den Industrieländern des Westens eine Standpauke mit Androhung von Sanktionen. Während seiner Rede betreten zwei Performerinnen die Bühne, eine weiß und eine schwarz. Sie liefern die Fakten zu seinen Anschuldigungen. Tatsächlich. Eine Studie hat herausgefunden: Ruanda steht in Sachen Gleichberechtigung auf Platz 4, Deutschland abgeschlagen auf Platz 12. Während die ruandische Schauspielerin den Erfolg noch mit ihren Kolleginnen auf den Videoschirmen feiert, ist die Weiße immer noch damit beschäftigt, die Liste bis zum12. Platz herunterzuzählen. Im dortigen Parlament sitzen zu 62% Prozent Frauen, während in Deutschland nur 31% Frauen in der Bundestag vertreten sind. Also hat Deutschland wohl etwas von Ruanda zu lernen. Stellvertretend geht Lisa Schepf in den Gleichberechtigungs-Nachhilfeunterricht bei Nirere Shanel aus Kigali.

Erstmal scheinen sich Parallelen aufzutun: Wie in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg 1945 waren auch in Ruanda nach dem Bürgerkrieg 1994 zu wenig Männer zum Wiederaufbau vorhanden. Doch während in Deutschland die Frauen schnell wieder am Heim und Herd zurückkehren sollten, wurde die Gleichberechtigung per Quote in die Verfassung von Ruanda eingeschrieben.

In Ruanda wählt man moderne Mittel, um Männer und Frauen zu fortschrittlichen Bürger*innen werden zu lassen. Stolz präsentiert Nirere die Telefonsexualberatung von Auntie Mama (Natasha Muziramakenga), in der sie Tipps gibt, wie alle Teile des Körpers befriedigt werden können. Schnell wählt Lisa sich ein. Während sie neben dem Screen die Fragen auf Deutsch stellt, antwortet die blauhaarige Moderatorin auf Englisch. Doch nicht wegen der unterschiedlichen Sprachen kommen hier die Missverständnisse zustande. Während Lisa nach "Pay Gap" und "Care Gap" fragt, empfiehlt ihr die Telfonberaterin die Zulegung eines Sugar Daddys mit großem Portemonnaie und eine neue Intimfrisur. Als Lisa ein drittes Mal anruft, braust sie auf: "Weißt du eigentlich wie groß der Pay Gap zwischen uns beiden ist? Lass mich zufrieden mit deinen Luxusproblemen!"

Im Laufe des Abends können sich die beiden Performerinnen auf diese Grundlage einigen: Solange die unterschiedliche Belastung der Kinder-, Haus- und Pflegearbeit zwischen den Geschlechtern nicht geklärt sei, könne auch die Quote nur ein erster Schritt zur Gleichberechtigung sein. Zum Schluss liegen biede zwischen den zerschlagenen Tellern auf dem Boden und befinden sich auf derselben Stufe. Neue Zuversicht bekommen sie erst, als sie einen Mann aus dem Publikum gewinnen können, der die Scherben wegfegt. Derweil zählen sie die gewonnene Zeit und träumen davon, was sie mit ihr alles anstellen könnten.

Ein interessanter Abend, der auf sehr unterhaltsame Weise die Perspektive wechselt, Klischees aufgreift, Gewohntes durchbricht, Fortschritte aufzeigt und dennoch keine Schönfärberei betreibt. Die Herausforderung durch die Pandemie hat das Theaterkollektiv Flinn Works hervorragend gelöst. Die drei abwesenden Performer*innen wurden auf den drei lebensgroßen Screens, die sich auf der Bühne verschieben ließen, direkt in das Geschehen mit eingebunden. Eine nachahmenswerte Lösung, die das Bühnengeschehen eher bereicherte als schmälerte.

Birgit Schmalmack vom 2.11.20

Abbildung: Learning Feminism from Rwanda - Foto © Serge Rwogera

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