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Ein ganz gewöhnlicher Jude

Zur Kritik von

godot

Ein ganz gewöhnlicher Jude


Von der Unmöglichkeit

Ein Brief von Herrn Gebhardt („mit dt“) ist bei Emanuel angekommen. Der Studienrat wünscht sich ein leibhaftiges Studienobjekt für seine Schüler im Sozialkundeunterricht am Kurt Tucholsky Gymnasium. Ein Mitglied der „jüdischen Religionsgemeinschaft“ will er ihnen gerne vorführen und lädt dazu den jungen Emanuel Goldfarb zu sich ein. Doch er will nicht wie eine ausgestorbene Gattung im deutschen Museum ausgestellt werden.
Der Brief konfrontiert wieder einmal direkt mit seiner Identität. Wie kann es möglich sein, in Deutschland ein ganz normaler deutscher Jude zu sein? In seiner Kindheit hielt ihn seine Mutter zur perfekten Unauffälligkeit an und sein Vater wollte in ihm seinen konservierten Zweckoptimismus verwirklicht sehen. Als einziger Nachfahre zweier Holocaust-Überlebender hatte er eine Mission zu erfüllen, die den Jungen zeit seines Lebens unter Druck setzte. Endlich glaubte er in seiner Beziehung zur katholischen Hannah einen neuen unverkrampften Zugang zu seinem Lebensgestaltung gefunden zu haben, da machte ihm die Geburt ihres Sohnes ihre Differenzen nur umso deutlicher: Die Frage der Beschneidung mündete in eine Endlosschleife der Diskussionen und schließlich in der Äußerung: „Du bist so schrecklich jüdisch geworden“. Das Ende der Beziehung war eingeläutet.
Emanuel ringt hart um seinen Platz in Deutschland. Sein Wunsch dazu zu gehören, offenbart ihm nur immer wieder dessen Unmöglichkeit. Er weiß, Anpassung wird ihm die ersehnte Anerkennung nicht bringen. Die gutmenschelnde Vorsichtigkeit empört ihn genauso wie die geschichtsvergessende Unwissenheit. Seine aggressive Flucht nach vorn bringt ihn in ständige Konfrontationen, die er eigentlich nicht will.
Dieter Seidel hat den Stoff von Charles Lewinsky für das N.N.-Theater inszeniert. Jan Katzenberger ist ein wunderbar vielschichtiger Goldfarb. Er zeigt seine Wut wie seine Sehnsucht. Er offenbart seinen Stolz, seine Sturheit ebenso wie seine Ängste. Ein Ventil für diese unterschiedlichen Gefühle findet er in der Musik. Immer wenn er sich seine Kopfhörer aufsetzt, auf die Fernbedienung drückt und in sein Mikro rappt, kommt nicht nur sein Sessel in Schwingungen. Seine Entscheidung die Einladung von Gebhardt nicht anzunehmen, steht bereits fest. Doch dann stülpt er wieder seine Kopfhörer auf und rappt los: „Obwohl...“ Katzenberger gibt dem Thema die Lebendigkeit, die es ganz nah an die Zuschauer heranrückt. Begeisterter Applaus war ihm bei der Premiere am Donnerstag gewiss.
Birgit Schmalmack vom 9.3.12

Abbildung: Jan Katzenberger im Theater N.N. - by Tobias Gloger

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