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Die Welt auf einem Schiff
Du bist noch nicht ganz verloren, wenn du eine gute Geschichte und jemanden hast, der dir beim Erzählen zuhört. Novecento hat eine gute Geschichte und er hat einen Freund, dem er sie erzählen kann: seinem Freund Tim Tooney.
Novecento wurde an Bord des Ozeanüberquerers Virginian geboren. Von seinen Eltern, die höchst wahrscheinlich zu den armen Auswanderern vom Unterdeck gehörten, wurde er in einem Pappkarton im Ballsaal der Ersten Klasse zurückgelassen. Der Maschinist, der ihn fand, nahm sich seiner an. Der Junge wuchs auf dem Schiff heran.
Er brachte sich das Klavier Spielen bei. So wurde er zu einer Legende: zu dem hervorragenden Ozeanpianisten, der nie von Bord gehen sollte und der Musik spielte, die zuvor nie ein Mensch gehört hatte.
Der Trompeter der Band Tim Tooney wurde über die sieben Jahre, die sie zusammen auf See verbrachten, zu seinem Freund und Vertrauten. So bekam Tim eine Geschichte geschenkt, die er wiederum anderen Menschen erzählen kann. Er tut es in einer Zeit, in der er schon alles andere verloren hat. Selbst sein Instrument hat er verkauft, da er erkannte, wie sinnlos es ist Trompete zu spielen, wenn ringsherum Krieg ist. Der zweite Weltkrieg hat auch der ruhmreichen Zeit der Virginian ein Ende bereitet: Als schwimmendes Lazarett benutzt, war sie mittlerweile so heruntergekommen, dass sie in die Luft gesprengt werden soll. Als der Trompeter hört, dass Novecento sich auch jetzt noch weigert, von Bord zu gehen, macht er sich auf den Weg zu seinem Freund.
Warum wolltest du nie von Bord gehen?, hatte er ihn vor Jahren einmal gefragt. Damals hatte er keine Antwort bekommen. Jetzt erhält er sie: Die Begrenztheit der 88 Tasten eines Klaviers und der Virginian hätte ihm ermöglicht, die Unermesslichkeit des Lebens und die Unendlichkeit der Musik in sich zu finden. Das Land sei ihm dazu ein zu großes Schiff gewesen.
Enrico Guzy und Tim Niebuhr machen den Monolog von Alessandro Baricco zu einem Dialog zwischen den beiden Freunden auf der Bühne des Theaterdecks in Barmbek. Doch sie spielen nicht nur Tooney und Novecento sondern übernehmen auch alle anderen Rollen. Die Begrenztheit des Schiffes entspricht der Beschränkung der Bühnengestaltung: Sie besteht einzig aus vielen alten Lederkoffer. Aus ihnen werden mal eben Kojen, der Maschinenraum oder der Ballsaal gebaut. Sie werden zum Piano, zum Hocker oder zur aufgeschlagen Zeitung. In ihnen kann sich der kleine Novecento verstecken oder die Trompete von Tim transportiert werden. Ein Abend, mit dem Regisseur Niklas Heinecke bewies, wie mit wenigen, aber geschickt eingesetzten Mittel auf kleiner Bühne großes Theater entstehen kann.
Birgit Schmalmack vom 25.3.19
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