Die Wand, Wiener Burg
Der Mensch, ein Gewohnheitstier
Eigentlich sollte es nur ein dreitägiger Ausflug in die Berge werden: ein paar Tage in der Natur, einmal raus aus der Großstadt in die kleine Jagdhütte. Doch dann wächst über Nacht eine gläserne Wand am Anfang der Schlucht und der Rückweg ins alte Leben ist versperrt. Die Frau ist gezwungen sich von allem zu verabschieden, was bisher ihr Leben ausmachte. Immer länger wird die Reihe der Gegenstände, die sie am Rande der Bühne deponiert. Stiefel, Rock, Taschenlampe, Jagdhorn, Jacke liegen zum Schluss da und die Frau geht barfuss von der Bühne. Der Zeit ohne die Streichhölzer und ohne Brennholz schreckt sie nicht mehr. Sie hat auch den Winter ohne Gemüse, ohne Mehl und ohne Zucker überstanden. Sie hat Erdäpfel angepflanzt, die Alm erklommen, Gras gemäht, eine Kuh gefunden, mit ihr ein Kalb geboren, Heu geschlagen und ihre Liebe den Geschöpfen, die ihr zuliefen, geschenkt. Der Katze, ihren Katzenjungen, der Kuh, ihrem Kalb und dem treuen Hund, der vor dem Erscheinen der Wand zu ihr zurückgefunden hat. Die tierischen Leidensgenossen erlauben dem Mensch kein Versinken in Selbstmitleid. Er wird gebraucht und er funktioniert.
Dorothee Hartinger von der Wiener Burg gibt die pragmatische Frau als zupackende zähe Lebenstüchtige, die sich pragmatisch ihrem Schicksal anpasst. Ohne sich lange um die Hintergründe, der Fragen, die Probleme dieser Wand zu kümmern, widmet sie sich schnell den Zwangsläufigkeiten, die sich aus ihr ergeben. Für den distanzierten Schritt zurück scheint die Zeit zu fehlen. Der Mensch ist eben doch ein Gewohnheitstier. Fast könnte man vergessen, das er die Fähigkeit zu weitergehenden Überlegungen besitzt.
Marlen Haushofers Roman „Die Wand“ ist ein Gleichnis über die klaglose Anpassungsfähigkeit des Menschen an seine Umstände. Eine Infragestellung derselben ist nicht erwünscht. Auf diese Spur begibt sich Regisseur Christian Nickel in seiner szenischen Einrichtung, die in den Hamburger Kammerspielen ein Gastspiel gab, indem er die Zuschauer ganz mit seiner Darstellerin in die Zwangsläufigkeiten hineinzieht.
Birgit Schmalmack vom 10.3.15