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Im dialektischen Nichtstun verharrend



In einem der vielen neu gebauten Hotels sitzen die fünf Konferenzteilnehmer:innen in der Lobby und warten auf ihr Taxi. Obwohl sie im 21. oder 22. Stock sind, bietet ihnen der Ausblick aus dem Fenster keine Weitsicht. Denn draußen ist nur eine dicke undurchdringliche weiße Suppe zu sehen. Dicker Nebel umschließt sie. So kann der Hotelmitarbeiter (Johannes Hegemann) auch immer wieder nur berichten, dass er niemanden von der Taxizentrale erreichen könne. Warum könne er nur vermuten, der Nebel vielleicht?
Auf einem Drehteller ist dieses Foyer in dezenten Braun, Grün Gelb aufgebaut, umschlossen von einem Vorhang aus weißem Voilestoff, der zu Beginn langsam beiseite gezogen wird. Kontinuierlich werden sich die Fünf hier um sich selbst drehen. Sie werden das tun, was sie als Zukunftsexperten am besten können: diskutieren, spekulieren, dialektisieren und abwägen und abwarten. Die Fünf halten Monologe. Ein Gespräch findet nicht statt. Ihre Gefühle drücken sie weniger durch das Gesagte als durch ihre Körpersprache aus. Ungelenk schaukeln sie auf ihre Absätze. Schlaksig verdrehen sie ihre Arme und Beine. Schlängeln sich mit dem Körper eng an der Wand entlang. Balancieren auf dem Sofa oder dem Tresen. Viel Spielraum gewährt ihnen ihre Konferenzexistenz nicht. In ständiger Wiederholung der Gedankenäußerungen sind die einzelnen Personen in ihrem Gedankenkreislauf gefangen und bewegen sich nicht auf den anderen zu.
So warten sie auf das Taxi, das nicht kommen wird. So warten sie auf die Antwort des Hotelangestellten. So warten sie auf die Mail der Konferenzleiterin. Zwar spielt eine besonders Wagemutige (Toini Ruhnke) unter ihnen tatsächlich mit dem Gedanken, zu der Bushaltestelle zu gehen, die direkt vor dem Hotel liegt und sich selbst ein Bild zu machen, doch das wäre dann doch zuviel Kontakt mit der Realität und sie lässt es wieder bleiben. Schließlich könne man die Wartezeit doch sehr viel sinnvoller verbringen, wie der Akkurateste unten ihnen (André Szymanski) vorschlägt: Als Sinnbild für die Zustand unserer heutigen Welt nehmen und darüber nachdenken, was dieses heutiges Zusammentreffen von Konferenzanfang und Nebeleinbruch ihnen zu sagen hätte. So ist wieder jede Art von Aktivität auf ein Morgen verschoben, das wohl nie eintreten wird und man darf sich weiter im Theoretisieren ergehen. Als einer von ihnen (Steffen Siegmund) sogar zugibt, dass er manchmal sogar das Gefühl habe, dass die Wirklichkeit der Welt gar nicht so dramatisch wäre, wie sie auf ihren Konferenzen erscheinen ließen, unterbricht er sich lachend selbst: Das dürfe man lieber nicht sagen, dann würden ja die Fördergelder gekürzt. So verharren die Fünf (auch: Maike Knirsch, Björn Meyer) in ihrer Lobby. Einzig der Hotelangestellte tritt aus ihrem Drehteller heraus und betrachtet die Situation von außen. Manchmal gibt er dem Drehteller einen Schubs. Ob er das Geschehen vielleicht sogar steuert? Als er zum Schluss plötzlich mit einem Gewehr am Rande erscheint, mischt sich ein Hauch von Thrillerstimmung in das Geschehen. Doch dann zieht sich der weiße Vorhang auch schon wieder zu.
Was diesen Abend von Toshiki Okada auszeichnet, ist aber nicht nur dieser Inhalt sondern vielmehr seine Umsetzung. Dieses Mal hat er nicht mit seinem chelfish Ensemble gearbeitet sondern mit dem des Thalia-Ensembles. Da er jedoch nicht nur Autor, Regisseur sondern auch Choreograph seiner Stücke ist, bewegen sich die Sechs auf der Bühne in ihrem eigenen Bewegungskosmos, während sie ihre wohl abgewogenen Sätze sprechen. Sie balancieren, sie streichen, sie schaukeln, sie verrenken sich und sie halten sich an den Möbeln fest. Nach Beendigung ihrer Reden, die stets Monologe sind und zu keinem echten Gespräch führen, verharren sie in einer Position, bis sie wieder dran sind. Einmal entschlüpft einem von ihnen die Bemerkung: "Unsere Situation entbehrt nicht einer gewissen Komik." Dem kann man nur beipflichten. Durch ihre Selbstkommentierung, die häufig zugleich eine Entlarvung ist, wird der Abend auch zu einem kurzweiligen Vergnügen, das die tiefere Symbolik als Zustandsbeschreibung einer Welt, in der viele Sicherheiten abhanden gekommen sind und die dennoch im Nichtstun und Diskutieren verharrt, treffend auf die Bühne bringt. Begeisterter Applaus nach der Premiere im Rahmen der Lessingtage auf der kleinen Bühne des Thalia.
Birgit Schmalmack vom 22.1.22