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Zwischen Machtgier und Wahnsinn

Antigone Theater Das Zimmer


Normalerweise steht Antigone im Mittelpunkt des Interesses, wie schon der Titel des Theaterstückes von Sophokles verrät. Doch hier im "Theater Das Zimmer" in Horn richten sich die Blicke auf Kreon. Denn er (Vladimir Pavic ) ist in dieser Inszenierung von Jan Holtappels der Einzige, der live auf der Bühne steht. Allen anderen Personen begegnet er nur auf der Leinwand hinter ihm. Vielleicht kommen sie nur in seiner Fantasie vor. Sind Hirngespinste seiner um sich selber kreisenden Gedankenspirale, die ihn im Laufe des Abends immer weiter hinabzieht. Wir begegnen den gerade erst unerwartet zu Amt und Würden gekommenen König scheinbar ganz privat, im Morgenmantel, Badelatschen und Unterhemd in seinem Badezimmer. Zum Aktenstudium setzt er sich in seine Badewanne. Amtsgeschäfte erledigt er hier im Vorbeigehen, ganz nebenbei. Er hat die Macht erhalten, weil die beiden Söhne des ehemaligen ermordeten Königs sich im Kampf um die Stadt gegenseitig erschlagen haben. Selbstherrlich entscheidet der neue Herrscher darüber, wer von ihnen die Ehre eines Begräbnisses zukommen darf und wer den Vögeln zum Fraß vorgeworfen werden soll. Unmut im Volk regt sich, doch nur eine wagt sich dagegen aufzulehnen. Ausgerechnet eine Frau, die Schwester der beiden Brüder, Antigone (herausragende Leistung: Eileen Weidel), will diese Ungerechtigkeit nicht hinnehmen. Sie bedeckt den Leib ihren zweiten Bruders mit Erde, auch wenn sie weiß, dass darauf die Todesstrafe steht. Als sie Kreon mit ihren Argumenten gegenübertritt, steht das Ergebnis eigentlich schon vorher fest: Kreon wird stur bleiben, da kann Antigone noch so viele kluge Argumente vorbringen. Kreon interessiert nur seine Machtstellung, die wohlmöglich angekratzt werden könnte, wenn er nachgibt. Dabei ist Antigone nicht irgendeine Frau in Theben, sondern die Braut seines Sohnes. Auch seine Bitten wird er in den Wind schlagen.
Wer dieses Stück gerade aufgrund seiner intelligenten Argumentationsstrukturen zwischen den verschiedenen Personen schätzt, wird in dieser Inszenierung nicht ganz auf seine Kosten kommen. Sie werden auf das Nötigste verkürzt. Doch in dieser besonderen Lesart des Klassikers wird die Verbohrtheit, Sturheit eines machtgierigen Möchtegernherrschers umso deutlicher herausgearbeitet. Hier kann man buchstäblich mit ansehen, wie ein Mann in seiner Machtversessenheit immer weiter in die Abgründe des Wahnsinns hinab gleitet, alle Warnzeichen übersieht und am Schluss alles verloren hat und selbst das nicht richtig wahrnehmen kann. Er geht so fröhlich pfeifend von der Bühne wie er sie betreten hat.
Birgit Schmalmack vom 4.10.21