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Reproduktion als große Frauenentsorgungsprogramm
Jung sind sie nicht mehr, sie tun nur noch so. Sie sind eher die Generation 30 plus verzweifelt. Das Leben dümpelt leider nur sehr durchschnittlich dahin. Selbst die Auszeichnung durch interessante Konflikte oder Hintergründe fehlt. Doch dann hat eine plötzlich Sex, der zwar eher an eine mit Stiefmütterchen bepflanzte Verkehrsinsel erinnert aber Folgen hat. Sie ist schwanger. Sollten sich da nicht die Hormon bedingten Glücksgefühle einstellen? Doch die bleiben aus. Auch der Sinn des Lebens, der schon zuvor das große Projekt für morgen oder übermorgen war, taucht nicht mit den Ding im Bauch auf. Stattdessen aber immer weniger Freunde, immer mehr andere Mütter und das Gefühl aus dem öffentlichen Leben gedrängt worden zu sein. Reproduktion als große Frauenentsorgungsmaschinerie ohne Wiedereinstiegsprogramm. „Move bitch, get out of the way, Mutter!“ Nie wollte sie werden wie ihre Mutter, nie wollte sie so schlecht gekleidet sein wie ihre Mutter und dennoch stehen sie da in ihren Blümchen-Schlapper-Kleidern. Alle vier im gleichen Nachlässigkeitslook. Da sind sie wieder, die vier aus „Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen“ . Und dennoch ist etwas anders. Zeitgleich bekommen sie alle Nachwuchs, mit mehr oder weniger Planung angesetzt. Und dann sind sie plötzlich nicht mehr zu viert sondern zu acht. Unübersehbar haben sich vier kleine Pferdeschwanz bezopfte Mädchen in sexy Shorts und rosa Addidas-Sportjacken mit passenden Schuhen dazugesellt. Vier völlig den Müttern wesenfremde Menschen sind da entstanden. Keine Spur von Konsum-, Weiblichkeits- und Ehrgeizverweigerung! Die versuchten Umarmungen sehen demzufolge ungelenk und unpassend aus. „Steh auf und sei das Vorbild, das ich brauche“, mahnen die Töchter. Doch die Mütter sind schon alleine erschöpft von der reinen Lebensabwicklung. Wie sollen sie sich da zu mehr aufraffen? Selbst den bevorstehenden Umzug in die Uckermark, mit der alle vier der gentrifizierten Mieterhöhung entkommen wollen, muss von den vier Mädchen organisiert werden. Eifrig sind sie mit dem Aussortieren und Packen beschäftigt. Immer wieder entsorgen sie Berge von angesammelter Vergangenheit über die Bühnenrampe. Mit Müttern, die ihren Liebeskummer mit ihrer Tochter besprechen, können sie nichts anfangen. Gerne hätten sie ganz normale Spießereltern, am liebsten auch in der Anzahl von zwei Personen. Eine allein-erziehende Frau reicht ihnen nicht, zumal wenn die Erziehung eher eine Leerstelle darstellt. Sybille Berg hat nach ihrem letztjährigen Erfolgsstück eine Fortsetzung geschrieben. Wieder hat Sebastian Nübling es in Szene gesetzt. Wieder auf leerer Bühne vor der Feuerschutzwand. Wieder mit den vier hervorragenden Schauspielerinnen (Suna Gürler, Rahel Jankowski, Cynthia Micas, Cigdem Teke) im sprechenden, rappenden, singenden und tanzenden Chor. So etwas wird nicht unbedingt zu einem weiteren Erfolg. Doch mit den vier großartigen, etwa zehnjährigen Spießermädchen (Aydanur Gürkan, Fee Mühlemann, Zoe Rügen, Annika Weitzendorf) die ihren Müttern hier in gleicher Weise Paroli bieten, wird die Schraube des Witzes, des Hintersinns, des doppelten Bodens noch um ein paar Grade weiter gedreht, so dass auch Folge zwei genau so viel Spaß macht wie Folge eins. Birgit Schmalmack vom 23.10.15
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