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Komitas, Maxim Gorki

Die Wunden der Vergangenheit

Wie ein Schrein steht der Kasten mitten vor der Leinwand, auf der Komitas (Sesede Terziyan) versonnen ins Tal schaut, und verdeckt so den nötigen Weitblick. Wie den Berg Ararat wird Terziyan ihn mehrfach umrunden, Wie die schweren Erinnerungen wird sie ihn immer wieder herumdrehen. Wie ihre Eremitenkammer in der Psychiatrie wird sie ihn öffnen und bewohnen. Wie auf einem Kunstwerk der Wunden wird sie auf ihm mit spitzen Werkzeugen ihre Spuren hinterlassen. Wie ein Altarbild wird sie ihn schließlich aufklappen und dahinter verschwinden.
Doch noch zählt Komitas. Wenn er bis fünfzehn gekommen sein wird, wird sein Leben endlich ein Ende haben. Er kann die in ihm eingeschriebenen Spuren seines Vaters und seines Volkes nicht ausmerzen. Jede Nacht suchen sie ihn in seinen Träumen wieder auf. Seine Lieder können nur zeitweise helfen. In ihnen versucht er gleichzeitig das Erbe seines Volkes zu erhalten, zu erforschen und zu mehren. In ihnen versucht er den Schmerz zu verarbeiten und eine Struktur zu geben. Doch seine DNA hat sich auf immer verändert, er kann nichts vergessen, nichts verdrängen. Das Einzige was bleibt, ist die Vergebung, auf die er hofft.
Marc Sinan spürt dem Leben des armenischen Mönches und Musikwissenschaftlers Komitas 100 Jahre nach dem Völkermord an den Armeniern nach, den die Türkei als eine Vertreibung von Staatsfeinden ansieht. Doch er beschränkt sich nicht nur auf einzelne szenische Bruchstücke seines Lebens und auf Proben seiner Dicht- und Sangeskunst, sondern er verwebt dessen Lieder zu neuen Kompositionen, die von der Trauer, der Wut, dem Unverständnis und dem Schmerz dieses Mannes mit zarten, aufrührenden und verstörenden Tönen erzählen. Nicht nur Bilder der kargen armenischen Landschaft und den zerstörten Kirchen werden dazu auf die Leinwand projiziert sondern auch Bilder einer neuen Vernichtungswelle gegen armenische Christen durch den IS in Rappa 2015.
Das ist ein Musiktheater, der Offenheit und Anstrengungsbereitschaft von seinen Zuschauern und Zuhörern einfordert und der dennoch dank der behutsamen und freundlichen Vermittlerrolle von Sesede Terziyan keinen Ton der Anklage oder gar der Rache aufkommen lässt.
Birgit Schmalmack vom 20.4.15