Zur Kritik von
Tagesspiegel |
BZ |
Finale, Chamäleon
Auf ein paar "Schnäppis" bei Freunden
Artisten sind immer unterwegs. Ihr Leben muss oft in einen Koffer passen. Aus Kartons holen sie ihre Zutaten, die sie für ihre Kunststücke brauchen. alles schleppen sie möglichst rollbar mit sich herum. So beginnt die Show auch mit einem Umzug. Wie improvisiert schein dieser Anfang zu einer Show, die sich ausgerechnet den erwartungsheischenden Titel "Finale" gegeben hat. Auf der Bühne werden mit allen langsam eintreffenden Künstlern erstmal Kisten hin und her geschoben. Hier bauen sie ihre kleine Zirkuswelt auf, in die sie die Zuschauer mit einladen. Immer wieder wird eine Runde "Schnäppis" unter den Künstlern und im Publikum verteilt. Dann wird erstmal auf der Bühne mit viel Nebel und Licht getanzt. Wir feiern zusammen das Leben! Erst danach zieht man aus einzelnen Kisten die Requisiten und die Künstler zeigen, was sie sonst noch so draufhaben.
Natürlich braucht eine gute Party bei Freunden auch gute Musik. Bei "Finale" wird auch sie von den Künstlern selbst gemacht. Die charmante Sängerin Ena Wild mit der großen Stimme und dem großen Herzen ist zugleich eine locker plaudernde Moderatorin. Dass sie sich zusätzlich noch zu jedem Auftritt in ein neues verrücktes Party-Outfit wirft, sorgt für weitere Hingucker. Der Schlagzeuger Lukas Thielecke thront in einer Kapsel mitten auf der Bühne und gibt den Beat der Show vor. Doch auch Florian Zumkehr darf einfach mal seine Gitarre rausholen und die anderen unterstützen, wenn ihm gerade danach ist.
Dabei sind die Künstler alle Meister ihres Fachs. Bertan Canbeldek überrascht mit einer Trommeljonglage, deren Rhythmus sich wunderbar mit dem des Schlagzeugers zusammenfügt. Florian Zumkehr nutzt wackelnde Bücherstapel, um auf ihnen seine Handstandakrobatik vorzuführen. Wenn Kami-Lynne de Bruin wie selbstverständlich im Luftring tanzt, scheint sie die Schwerkraft überwunden zu haben. Wie Ole Lehmkuhl am Cyr Wheel über die Bühne wirbelt ist atemberaubend. Das Atmen vergisst man allerdings völlig, wenn Rémi Martin sich am Chinesischen Mast fallen lässt und es schafft, kurze zehn Zentimeter vor dem Boden sich wieder an die Stange mit den Beinen festzuklemmen.
Hier gibt es kein Nummerakts sondern jede Vorführung ist ein Zusammenspiel aller auf der Bühne. Ob die anderen nur staunend daneben stehen, anfeuern oder Requisiten reichen - immer sind sie ein Team, das sich unterstützt und anregt.
Nach der Pause wird das bei einem Gänsehautmoment besonders deutlich. Die Crew kommt wieder über den Mittelgang in den Saal. Natürlich wird wieder der Teppich ausgerollt, diesmal für die große "Diva" Ena Wild. Die bekommt ihre Flöte gereicht und ein Tau windet sich wie eine Schlange empor. "Das ist mir zu blöd", findet Richie Maguire. Schon werden Kisten und Stühle aufeinander gestapelt, einer klettert halsbrecherisch nach oben und hängt kurzerhand das Seil über den Deckenhaken. Fertig ist die Ausstattung für die Nummer von Kami-Lynne de Bruin an den Luftgurten. Schon hängt sie sich ein, vertrauend auf die Teamkollegen. Denn gehalten wird ihr Seil nur von ihnen. Das wird klar, als sich der Bühnenvorhang öffnet. Nur mit ihrer Muskelkraft lassen sie Kami schwingen und schweben und ermöglichen so erst ihre Vorführung auf dem schmalen Aktionsfeld zwischen den Zuschauern.
Das Chamäleon zeigt einen Zirkus der neuen Art. Hier wird keine Abziehshow geboten, die sich durch immer gleiche Perfektion auszeichnet. Ganz im Gegenteil, hier wird der Eindruck erweckt, dass alles nur in diesem Moment und für diesen Abend im Miteinander aller Beteiligten entstanden ist. Hier stehen Menschen auf der Bühne, die sich nicht nur als Akrobaten sondern als komplette Persönlichkeiten einbringen. Sie werden zu einer Gemeinschaft, die mit ihrem Spaß an ihrer eigenen Kunst und der der anderen immer wieder auch das Publikum mitreißt. So entsteht eine spannungsgeladene Wohlfühl-Atmosphäre bis in die letzten Reihen.
Birgit Schmalmack vom 10.8.18