Tanz mit den Gespenstern der Vergangenheit

Mutter**land, Kampnagel Jasper Kettner


"Ich habe nie in Beirut gelebt und trotzdem fühle ich mir hier zuhause." Zu dieser Erkenntnis kommt Bernadette La Hengst bei ihrer Spurensuche nach der Vergangenheit ihrer Mutter. Ihre 16-jährige Tochter Ella kann darüber nur den Kopf schütteln. Diese übertriebene kulturelle Aneignung findet sie höchst problematisch. Ihre Erfahrungswelt im heutigen postmigrantischen Berlin ist geprägt von der selbstverständlichen Durchmischung der Kulturen, ohne dass dies zu einem großen Thema erhoben würde. Dennoch beteiligt sie sich eifrig an der Spurensuche ihrer Mutter von "Mutter``land", die nun auf dem Krass-Festival in Hamburg zu sehen war.
Wie prägt die Vergangenheit unsere Gegenwart, nicht nur gesellschaftlich-geschichtlich sondern auch ganz persönlich? Dazu gibt es viele Studien, aber heruntergebrochen auf eine Familie eröffnen sie ganz individuelle Erkenntnisse. Drei Generationen stehen hier im Fokus. Genauer drei Frauen: Gitti, Bernadette und Ella. Großmutter, Mutter und Tochter. Fünf Stationen der Spurensuche werden nicht nur sie durchlaufen sondern auch das Publikum. Schließlich geht es um Fluchtgeschichten, da heißt es immer wieder den Standort zu wechseln. So wandert das Publikum auf Kampnagel von der versteckten kleine KX Bühne zur Gartenbühne, zum Migrantpolitan und wieder zurück. Von Berlin nach Schlesien über die DDR und Beirut nach Westdeutschland. Dabei streifen sie so interessante Fragen wie die, ob das Schweigen und Verdrängen der Tätergeneration erst die Grundlage des Wohlstands in Deutschlands bereitet haben und wie heute damit umgegangen werden könnte. Während Bernadette live auf den Bühnen erzählt und singt, wird ihre Tochter, die auch die Rolle der Großmutter übernimmt, per Videoprojektion zugeschaltet. Die Darstellungseben sind so vielfältig wie die Geschichten und Perspektiven. Doch würde die überaus sympathische Bernadette nicht den Abend mit ihrer Präsenz und Authentizität zusammenhalten, wäre er nur eine Aneinanderreihung von Stationen geblieben. So aber wurde es eine ganz persönliche, liebevolle und doch kritische Spurensuche, die auch einen amüsierten und selbstironischen Blick auf die verschiedenen Generationen warf.

Birgit Schmalmack vom 11.5.22