Die riesige Kesselhalle ist zu einer Arena geworden. Kalkbedeckt ist sie ihr Areal auf den Boden gezeichnet. Fast starr stehen die drei Figuren da, eng beisammen und dennoch alleine. Nur ab und zu sinken ihre Gelenke ein wenig herunter oder werden danach wieder ein paar Zentimeter in die Höhe gezogen. Was sie darstellen sollen, verriet schon die Projektion auf dem Hof. Lauter Pferde liefen als Schattenbilder über die dort verteilten Container. So erkennt man sofort, dass die drei Tänzerinnen zu Pferde-Standbildern geworden sind. Kaum merklich verändern sie langsam ihre Positionen, während es im Hintergrund flüstert. Auf Spanisch, auf Englisch, doch die Worte sind kaum verständlich.
Erst als die Tänzerinnen in der Mitte des Raumes angekommen sind, wechselt die Stimme in klar deutlich zu vernehmende Worte. Denn die folgenden Informationen sollen ihre Adressat:innen erreichen. In Mexiko gab es bis Ankunft der Konquistadoren keine Pferde, hört man. Erst die Eroberer brachten die Tiere mit ihren Schiffen ins Land und sorgten damit für den nötigen Machtunterschied zwischen den Eindringlichen und den Einheimischen. Sie saßen oben und blicken herab. Sie versetzten sie in Angst und Schrecken. Die Machtdemonstration war gelungen. Reiterstandbilder prägen bis heute das Bild vieler Orte in Mexiko. Genau diese Geschichte wollte die Choreographin Yolanda Morales mit ihrer jüngsten Arbeit untersuchen. Doch sie bleibt dabei nicht stehen. Indem sie sich dem Thema der eingeschleusten Pferde annimmt und es auf ihre Weise bearbeitet, eignet sie sich dieses Narrativ an und formt seine Bedeutung um. Indem sie gerade mit dem rein weiblichen Ensemble die Bewegungssprache der Pferde in eine tänzerische übersetzt, emanzipiert sie sich von dem ehemaligen Herrschaftssystem und gewinnt aus diesem Prozess eine eigenständige Kraft, die zu einer Befreiung führen kann.
Morales führt das zunächst sehr konzentriert mit ihren beiden wunderbar ausdruckstarken Mittänzerinnen (Damini Gairola und Alicia Ocadiz) vor, die jede ihrer noch so kleinen Bewegungen zu einem ästhetischen Genuss machen. Streng limitiert sind ihre Bewegungen, klar abgezirkelt. Eindeutig dressierte Pferde. Von ihrer ursprünglichen Wildheit ist nichts mehr zu spüren. Ganz im Gegenteil, auch als die weiteren Frauen zur Seitentür herein schreiten, wird ein homogenes Pferdeballett aufgeführt, das keine Individualität kennt. Doch dann mischt sich unter die Live Musik, die die Künstlerin Thordis M. Meyer auf der Bühne erzeugt, modernere Töne und die Gesichter der Tänzerinnen fangen an zu strahlen. Wie befreit stoßen sie die Arme in die Luft und fangen an wie in einem Club zu tanzen. Doch statt der ungezügelten Wildheit meint man nun eine techno-begeisterte Feiercrew zu sehen, die sich am Wochenende einmal austoben will. So sieht also die Wildheit der heutigen Frauen aus? Das ginge noch mehr, meint Morales mit diesem Stück auch andeuten zu wollen.
Die Projektionen auf die weißen Wände der gewaltigen Kesselhalle liefern passend dazu zuerst abgezirkelte Karomuster, die klare Bewegungsbereiche vorgeben, und später fließende Motive, die die größere Freiheit symbolisieren sollen. Ein Gesamtkunstwerk, das gefangen nimmt, weil Morales konsequent Inhalt und Form in eine wahrhaft innovative Bewegungssprache überträgt. Sollte es auf Tournee gehen, müsst es aber wohl die beeindruckende Halle des Kraftwerkes Bille mitnehmen, um eine genauso große Wirkung zu erzielen.
Birgit Schmalmack vom 6.11.21
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Horses, Kraftwerk Bille © Steffen Baraniak
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