Clowns wissen mehr
Das Hüterensemble spielt wieder: In der Wilhelmsburger Honigfabrik am 17.2.23 und in der Altonaer Werkstatt Drei am 19.2.23.
"Man, übertreib es nicht, du langweilst dein Publikum!" Auch Clowns sind sich nicht immer einig, was sie ihrem Publikum schuldig sind. Zwei (Christa Krings, Christian Eldagsen) wollen es unbedingt unterhalten. Dem Dritten (Helge van Hove) geht es um mehr. Der Clown in seinem Glitzerkostüm ist kaum zu stoppen. Er hat so viel zu sagen. Wie kann man angesichts all der Ungerechtigkeiten, der Umweltkatastrophen, der Klimakrise, dem galoppierenden Neoliberalismus, der zum immer weiteren Aufheizen des Planeten und zu immer größeren Verwerfungen in der Gesellschaft führt, auch still bleiben? Hier gilt es doch das Publikum aufzuklären. Ja, gerne, aber eben anders! So wird der Möchtegern-Aufklärer kurzerhand hinter die Stellwand gezogen und die Analyse auf spielerische Art weitergeführt.
"Stell dir vor, das Klima wäre eine Leber, dann hätte es schon längst Leberzirrhose". Mit dieser Annahme schickt der Autor und Schauspieler Christian Eldagsen mit seinem Hüter-Ensemble die Welt zur Beratung. Doch nicht etwa zum Therapeuten für eine Entziehungskur, wie man vermuten könnte, sondern zu Mc Kinsey. Die Seminarleiterin versucht den Managern eines Spirituosen-Unternehmens in mühsam kleinen Lernschritten zu Marketing-Experten zu machen. Alles ist schließlich nur ein Imageproblem, Hier gelte es nur das richtige Wording zu finden um sich die Deutungshoheit zurückzuholen. Alkohol gesundheitsgefährdend? I wo, alles ein Frage der Perspektive. Was die Agrarlobby hinkriegt, das schaffen wir doch auch! In ersten Teil entlarvt Eldagsen in dem abstrus gut recherchierten Seminarspiel die Strukturen die Machenschaften hinter den verschleiernden Marketingstrategien. Alles im Dienste der Wirtschaft. Alles zur Steigerung des Profits, zur Rettung der Arbeitsplätze, also im Dienste der Gesellschaft. Wie stark die Politik mit den Interessensvertretungen der Lobbyisten verwoben ist, wird im zweiten Teil überdeutlich. Hier bemüht sich ein freundlicher Richter dem Kläger und dem Angeklagter, die sich aufs Haar gleichen, gerecht zu werden. Quichote will nachweisen, dass das Mercosur-Abkommen, das die EU mit südamerikanischen Ländern abschloss, nicht nur ungerecht sondern auch gesetzeswidrig ist. Schwierig für die Klärung des Sachverhalts erweist sich, dass als einzige Zeugin die Puppe Europa gekommen ist, die man mit 50 Cent Münzen füttern muss, damit sie Worthülsen herausspuckt, die die Aussagen von Politikern vor Untersuchungsausschüssen bestens karikieren. Das Hüter-Ensemble will politisches Theater machen, das aufrüttelt. Ein Theater gegen die Deutungshoheit, das hinter die Mainstreaminformationen blicken lässt. Toll, wenn es zu einem wird, das dieses Ziel erreicht und dennoch die Befürchtung des zwei Clowns nicht wahr werden lässt: Dieses Spiel der schlauen Narren langweilt in keiner Minute.
Birgit Schmalmack vom 21.09.21