Psycho

Creatures Hill, Schaubude Foto: Uli Buder


In der schwarzen Bühnenrückwand öffnet sich eine Klapptür. Vorsichtig schlurft eine Frau in Hausschlappen und Kittel heraus. Man blickt in riesige blaue Glubschaugen in einem orangebraunen Gesicht mit strähnigen Haaren. Die ganze Frau ist eine laufende und sprechende Verunsicherung. Kaum verständlich fängt sie an ihre Worte heraus zu stoßen. "Ich habe ihn wieder weggebracht", wird allmählich verstehbar. Da wird ihr rechter Arm plötzlich lebendig. Aus einem Gesicht, das unverkennbar ihre eigenen Züge trägt, dringen grunzende wütende Laute, kaum menschlich, eher tierisch und vor-zivilisatorisch. Wenn die Frau etwas äußert, was das Missfallen dieses Wesens hervorruft, schnappt es sofort nach ihr.

Diese Eingangsszene von "Creatures Hill", das nach dem Roman "Das fünfte Kind" von Doris Lessing entstanden ist, lässt den Atem stocken. Man versteht intuitiv, was hier passiert. Eine Mutter fühlt sich gezwungen ihr Kind, das ihr fremd und unheimlich geworden ist, wegzugeben. Und wird zugleich erdrückt von ihren Schuldkomplexen. Dennoch bleibt sie gebunden an dieses Kund. Hier in dieser Inszenierung wird das sehr sinnfällig klargemacht: Das Kind wird nur zum Leben erweckt, wenn sie ihre Hand bewegt. Denn ihr Sohn ist eine Handpuppe, die untrennbar mit ihr verbunden ist. Es ist ihre Kreatur, die ihr zunehmend aber aus ihrer Kontrolle gerät.

Auch die anderen Figuren, die in diesem Masken- und Puppenschauspiel auftreten, haben ihren Beziehungspäckchen zu tragen. Haben den Menschen, der von ihnen abhängig ist, immer bei sich. Ob die Tochter, die sich um ihre alte Mutter kümmern muss und viel lieber ein unabhängiges Leben führen möchte. Ob das Kindermädchen, dass sich um ihre Schutzbefohlene kümmern muss, die vernachlässigte Schwester, der ihre eigene Mutter abhanden gekommen ist, weil diese völlig von dem missratenen Bruder in Beschlag genommen wird und keinen Arm für sie mehr frei hat. Ob die Psychiaterin in der Kinderklinik, die aus einer ehemaligen Patientin eine Assistentin kreieren will. Es geht um wechselseitige Abhängigkeiten, um unheilvolle Symbiosen, um Verlustängste, um Machtspiele, um Schuldgefühle, um Verletzungen und um die Unmöglichkeit der Befreiung. Dafür findet die Performance-Gruppe "Kreatur" (Lucy Blasche, Leonie Euler, Emilia Giertler, Eileen von Hoyningen Huene) eindrückliche Bilder, die haarscharf an der Grenze zwischen Psychoanalyse, Überzeichnung, Drama, Horror und Grusel liegen. Darin liegt die Faszination dieses Theaterabends, aber auch seine Schwierigkeit. Die Masken sind so beeindruckend, das Puppenspiel ist so eindrucksvoll, dass die dadurch erzielte Effekte an manchen Stellen ein wenig zu sehr in den Vordergrund rücken. Sie verführen Publikum und Team dazu, sich zuweilen mit der visuell sensationellen Oberfläche zufrieden zu geben, statt die psychologische Tiefenanalyse, die hier wunderbar ohne viele Worte in sinnlich erfahrbare Bilder übersetzt wurde, bis in alle noch erreichbaren Schichten fortzuführen.

Birgit Schmalmack vom 15.7.21