Wenn ich nicht schieß, schießt der andere

Der unaufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui Gefängnistheater


„Ich hoffe, dort in Cicero trifft er auf Männer, die ihm Paroli bieten.“ Diese Hoffnung haben die Gemüsehändler aus Chikago. Noch. Sie haben sich nicht getraut gegen Arturo Ui aufzubegehren. Doch auch die Ciceroer Kaufleute wagen keinen Aufstand gegen den Gangsterboss. Denn da ist es schon zu spät. Ui hat schon alle in seiner Hand: Den Karfioltrust, den alt ehrbaren Dogsborough und den Justizapparat. Er braucht bloß seine Mannen in Aufstellung zu bringen und schon wagt keiner mehr aufzumucken und alle schweigen still. So konnte er geschehen: „Der unaufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“.

Dabei hatte es ganz harmlos angefangen. Die Gemüsehändler saßen auf ihrem Grünzeug fest, die Unterstützung des Trusts scheiterte und Ui bot seine Hilfe an: Mit ein paar Brownings im Anschlag würde der Verkauf schon angekurbelt werden können. Nach erfolgter Unterwerfung will Ui seine Macht auf weitere Städte ausweiten. Die allgemeine Wirtschaftslage und die Inflation befördern den Wunsch nach einem starken Führer.

Die Parabel von Berthold Brecht zu Hitlers Aufstieg ist ein Klassiker, der leider heute wieder höchst aktuell ist. Schon deswegen ist die neue Arbeit von aufBruch, dem Freiluftgefängnistheater in der JVA Tegel sehenswert. Die Inszenierung unter der Regie von Peter Atanassow verlässt sich ganz auf den Text von Brecht. Ohne Pause spielt das engagierte Gefängnisensemble, aus denen einige der Darsteller herausragen, fast drei Stunden den dramatischen Totalverlust von Moral, Zivilcourage und staatlicher Ordnung durch. Mit zwei verschiebbaren Containern auf der Rasenbühne werden die nötigen Räume dafür erschaffen. Eine Dreiercombo der 17 Hippies sorgt für den richtigen Sound in einer Mischung aus amerikanischem Folk, deutschem Schlager und Balkanrhythmen. Das Publikums-Highlight sind wieder einmal die Interpretation der Frauenrollen durch das reine Männerensemble. Insgesamt eine reife, gekonnte Umsetzung eines Klassikers, der an Aktualität leider nichts verloren hat.

Birgit Schmalmack vom 28.8.23